Muffelwild im Harz durch Luchs und Wolf stark bedroht

Im Harz sind mit Luchs und Wolf zwei Großräuber auf Beutetour. Für die ansässigen Jäger steht das Muffelwild kurz vor dem Exitus.
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10. Mai 2023
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Wolf-Wald-Sommer
Nicht nur die angesiedelten Luchse bereiten dem Muffelwild zunehmend Schwierigkeiten. Auch die vielen Wölfe im Harz fordern ihren Tribut.

Das Artensterben in Deutschland scheint mit zweierlei Maß gemessen zu werden. Geht es um den Verlust von Zauneidechse und Fledermaus, laufen die Kampagnen der Naturschutzverbände auf Hochtouren. Droht das Aussterben des Muffelwildes, herrscht hingegen Stille. Einzige Ausnahme sind die Jägerschaften als anerkannte Naturschützer, wie jetzt in Sachsen-Anhalt der Landesjagdverband. Dieser sendet mit dem „Ballenstedter Ruf“ einen Rettungs-Appell für das Muffelwild im Harz. Denn hier spitzt sich ein Artenschutzkonflikt zu auf Kosten der Wildschafe, seitdem sich mit dem Wolf ein zweiter Großräuber rund um den Brocken etabliert hat.

Wolf und Luchs bedrohen das Muffelwild im Harz stark. Viele Jäger sehen für die Wildschafe keine Zukunft.
Wolf und Luchs bedrohen das Muffelwild im Harz stark. Viele Jäger sehen für die Wildschafe keine Zukunft.

Das Drama um das Muffelwild im Harz nahm seinen Anfang mit der Auswilderung der Luchse in den Jahren 2000 bis 2006. Der Bestand der Großkatzen entwickelte sich mit den Jahren zum größten Luchsvorkommen in Deutschland. Damals zählte die Mufflon-Population etwa 2.000 Stück. Der Vormarsch der Luchse leitete den Niedergang des Muffelwildes ein. Zuerst wurden die Vorkommen um Ilsenburg, Wernigerode, Elbingerode und im Südharz von jeweils 350–400 Stück eliminiert.

Jetzt droht der Kollaps der Muffelwild-Population im Selketal, der ältesten und größten in Deutschland. Denn mit dem Einzug der Wölfe in das nördlichste Mittelgebirge hat sich der Prädationsdruck nochmals erhöht. Nach offiziellen Angaben streifen im Harz zwei Wolfsrudel und einige einzelne Graue. Zwei weitere Rudel sollen auch auf den Nationalpark-Flächen nachgewiesen worden sein, berichten Insider. Offiziell herrscht von Seiten des Nationalparks Schweigen zur Wolfssituation.

Die aktuelle Luchsdichte im Harz beziffert Ole Anders, Koordinator des Luchs-Projektes im Harz, mit etwa 90 Individuen, darunter 55 adulte Luchse und 35 Jungtiere. Insgesamt gibt er für die Harzpopulation 120 Luchse an. Zur Erinnerung: Die Initiatoren des Auswilderungs-Projekts hatten auf Grundlage der Lebensraumkapazität eine Zielmarke von 20 bis 30 Tieren angegeben! Die meisten Pinselohren streifen im Ostharz, der weniger schroff und klimatisch milder ist als der Westharz.

Große Wolfsrudel bereiten Probleme

Vorstellbar sei aber auch, dass der höhere Rehwildbestand im Ostharz und das Muffelwildvorkommen dabei eine Rolle spielen, mutmaßt Anders. Der renommierte Muffelwildexperte Dr. Holger Piegert schätzt ein, dass die einst größte Muffelwildpopulation auf 300 bis 400 Tiere geschrumpft ist und nur noch an den östlichen Harzrandgebieten vorkommt. Seine Streckenanalysen im Landkreis Harz besagen, dass im Jahr 2008 noch etwa 400 Stück erlegt wurden. Dann ging es schlagartig abwärts. Im vergangenen Jagdjahr tauchten nur noch 95 Stücke in der Streckenliste auf, davon 49 Stück Fallwild.

Piegert blickt düster in die Zukunft: „Setzt sich die Ausbreitung der Wölfe ungebremst fort, hat sich das mit dem Muffelwild in sechs Jahren erledigt.“ Die Ausrottung der Population wäre eine Katastrophe – nicht nur von nationaler, sondern von globaler Dimension. Die Harzer Wildschafe gelten mit ihrem ursprünglichen Genpool von herausragender Bedeutung für die weltweite Population. Um den Schwund der Wildschafe zu mindern, wurden seit Jahren keine Schafe und Lämmer mehr freigegeben.

Der Stress durch das Großraubtier Luchs führte auch zu deutlichen Verhaltensänderungen der Mufflons. Großrudel mit einer Kopfzahlstärke von bis zu 200 Stück belagern mit großer Distanz zum Wald tage- und nächtelang Feldflächen. Bei der kleinsten Bewegung ergreifen sie die Flucht. Im Wald sind dagegen kaum mehr kleine Trupps und einzeln ziehende Tiere anzutreffen. Die Großrudel führen zu Konflikten.

Zunehmend wollen die Landwirte die Feldschäden nicht mehr tolerieren, berichtet Alexander Schröder, Hegeringleiter Ballenstedt. „Wir haben vermehrt versucht, die Muffel in den Wald zu drücken, allerdings erfolglos. Nach zwei Tagen stand das Großrudel wieder auf dem Acker.“ Das erhöhte Sicherheitsbedürfnis führt auch dazu, dass Schafe auf den Feldern lammen. Sie sondern sich vom Rudel nicht mehr ab, sondern setzen in dessen Schutz ihre Lämmer.

Erwischt! Eine Wildkamera konnte im Harz einen Luchs ablichten, der sich an einem gerissenen Schmaltier labte.
Erwischt! Eine Wildkamera konnte im Harz einen Luchs ablichten, der sich an einem gerissenen Schmaltier labte.

SPD-Umweltminister blockiert Schutz

Angesichts dieser Dramatik fordern die Harzer Jägerschaften und der Landesjagdverband Sachsen-Anhalt in ihrem „Ballenstedter Ruf“ von der Politik die Anerkennung des Muffelwildes als Teil der heimischen Fauna, die Deklarierung des Naturparks Harz als wolfsfreie Zone und die Ausschöpfung aller rechtlichen Möglichkeiten zur Entnahme von Wölfen. Die Jäger verpflichten sich, Lämmer und Schafe ganzjährig zu schonen. Eine Bejagung der Widder soll nur noch erfolgen, um ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis zu erhalten.

Bei der Bevölkerung im Harz genießt das Muffelwild einen besonders hohen Sympathie-Wert. In einer Umfrage in Sachsen-Anhalt sprachen sich 83 Prozent der Menschen dafür aus, das Muffelwild zu erhalten. Das Echo der Landesregierung auf den „Ballenstedter Ruf“ ist äußerst gespalten. Das von Prof. Dr. Armin Willingmann (SPD) geführte Umweltministerium erklärte: „Es ist weder naturschutzfachlich noch rechtlich begründbar, eine nicht geschützte, zum Zweck der Jagd angesiedelte Art wie das Mufflon durch Regulation einer streng geschützten Art wie den Wolf zu fördern.“

Dagegen befürwortet Landwirtschaftsminister Sven Schulze (CDU) eine Lockerung des Wolf-Schutzstatus und eine Erleichterung des Wolfsmanagements. Der agrarpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Olaf Feuerborn, der auch Präsident des Landesbauernverbandes ist, erklärte: „Die CDU steht für die Aufnahme des Wolfs ins Jagdrecht. Ich bin guter Hoffnung, dass wir darüber mit dem Umweltministerium auf eine Linie kommen.“ Für den Präsidenten des Landesjagdverbands, Carsten Scholz, ist klar: „Da müssen wir bei der Politik noch dicke Bretter bohren, um unseren Forderungen Nachdruck zu verleihen.“

Das allein werde nicht reichen, gibt Detlef Valtink (Vorsitzender der Jägerschaft Quedlinburg) zu bedenken. „Wir müssen auch unsere eigenen Reihen aufmüden, aktiver in der Öffentlichkeit zum Wolfskonflikt Laut zu geben.“ Das sei zwar schwierig, denn die Passivität habe Gründe. „Viele unserer Mitglieder vertrauen der Arbeit des Wolfskompetenzzentrums des Landes nicht, dass uns Jägern jegliche Wolfskompetenz abspricht.“

Heimisch oder fremd?

Muffelwild-Schutz

Entsprechend des Bundesjagdgesetzes (BJagdG) zählt Muffelwild zu den heimischen Tierarten, da es bereits bei Inkrafttreten des BJagdG frei lebend heimisch war. Damit unterliegt das Muffelwild der Hegepflicht der Jagdausübungsberechtigten mit dem Ziel, einen artenreichen und gesunden Wildbestand zu erhalten sowie der Pflege und Sicherung seiner Lebensgrundlagen. Nach dem Gesetz sind die zuständigen staatlichen Stellen verpflichtet, die Erfordernisse des Artenschutzes zu berücksichtigen. Sie haben in ihrem Bestand bedrohten Wildarten den erforderlichen Schutz zu sichern. Allgemein anerkannt ist: Siedeln sich Wolfsrudel in Lebensräumen des Muffelwildes an, führt das zu dessen Ausrottung.

Gesetzliche Aufgabe der Behörden ist es, die Ausrottung der heimischen Art zu verhindern. Da vom Staat geförderte Schutzmaßnahmen wie bei Nutztieren (Zäune etc.) ungeeignet sind, besteht nur die Möglichkeit, in geeigneten Muffelwild-Lebensräumen die Etablierung von Wolfsrudeln durch Abschüsse zu unterbinden. Einzelne durchziehende Wölfe könnten geduldet werden. Solche staatlichen Maßnahmen sind nach den Ausnahmevorschriften der FFH-Richtlinie (Art. 16 Abs. 1) und des Bundesnaturschutzgesetzes (§ 45 Abs. 7 Nr. 2) zulässig.

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