Raoul Reding weiß, wie zuverlässig seine Wölfe sind. Er ist ein kleiner, drahtiger Mann mit ebenmäßigen Gesichtszügen. Den Waldweg durch die lichten Kiefernbestände ist er schon hunderte Male gefahren. Unvermittelt hält er den weißen Tiguan an und steigt aus.
„Da hinten ist eine Wolfslosung. Kann man glatt übersehen, die ist schon stark zersetzt. Bei den Temperaturen macht sich der Mistkäfer schnell über Losungen her“, merkt er an und deutet auf einen undefinierbaren Haufen, der exponiert auf dem Weg liegt.

Wolfslosung enthält Haare und Knochen
Auf den zweiten Blick erkennt auch ein Laie: Was die Mistkäfer noch nicht zersetzt haben, ist der Rest einer Losung. Unmengen an feinen Haarbüscheln, Knochensplitter und sogar die Bruchstücke einer Kniescheibe sind zu sehen „Höchstwahrscheinlich ein Reh. Die feinen Haare sehen nach Kitz aus. Rotwild und Schwarzwild scheidet eindeutig aus“, erklärt Reding.

Als Wolfsbeauftragter der Landesjägerschaft Niedersachsen ist Raoul Reding für alle Fragen rund um den Wolf der richtige Ansprechpartner. Er katalogisiert Wolfsfunde, liest Fotofallen aus, nimmt Hinweise aus der Bevölkerung entgegen und wertet diese aus, koordiniert die Wolfsberater des Landes – selbstverständlich kümmert er sich auch um Wolfsrisse.
Damit leistet er einen wichtigen Beitrag zum landesweiten Wolfsmonitoring. In Niedersachsen wird dieses federführend von der Landesjägerschaft übernommen. Die enge Zusammenarbeit zwischen Politik, Jägerschaft und den Wolfsberatern als Bindeglied ist ein Grund für die umfangreiche Datenlage im Bundesland.

Raoul Reding wirkt auf den ersten Blick streng, aber im Gespräch taut er auf und immer öfter huscht ein verschmitztes Grinsen über seine Züge. Der Waldweg windet sich wie ein graues Band durch die Bestände. Links und rechts des Weges überwuchert mattgrünes Moos die Wurzeln der Kiefern. Schon nach wenigen hundert Metern öffnet sich die Landschaft und das typische Heidekraut zeigt sich.

Grillen zirpen, die Sonne brennt und Schwärme von Fliegen schwirren durch die Luft. „Hirschlausfliegen. Die gibt’s hier in Massen“, Reding scheucht einen Plagegeist von seinem Arm und verzieht das Gesicht. Zurück auf dem Weg findet Reding zwei weitere Wolfslosungen.
Der zweite Fund ist gut erhalten. Fast noch frisch. Reding ist begeistert und misst mit einem Zollstock den Fund aus. „Die wäre gestern vielleicht noch richtig toll gewesen. Die kann man sogar noch richtig messen. Die hat schon über 30 Zentimeter“, fachsimpelt der Wolfskenner.
Schwer zu identifizieren: Goldschakal vs. Wolf
Charakteristisch für Trittsiegel von Goldschakalen ist die Verschmelzung der vorderen Zehenballen.
Im Mittelwert ist die Losung von Goldschakalen etwa 15-20 Zentimeter lang. Allerdings kann auch dieser Wert stark variieren. Eine genetische Analyse liefert gute Hinweise.
Die Heide ist ein attraktives Wolfsrevier
Hier also fühlen sich die Wölfe heimisch: zwischen Hirschlausfliegen, Heidekraut, lichten Wäldern und hohem Gras. Die Lüneburger Heide ist ein attraktiver Lebensraum für den großen Beutegreifer. Ausgedehnte Waldgebiete, gesunde und dichte Wildbestände und dadurch eine gute Nahrungsgrundlage, kombiniert mit Ruhe, bilden eine gute Basis.
Ruhe ist dabei für den Wolf nicht unbedingt notwendig, relevanter ist das Nahrungsangebot. In Wintermoor gibt es ein etabliertes Wolfsrudel, das Schneverdinger Rudel. Mindestens drei erwachsene Tiere sind fester, nachgewiesener Bestandteil. Sollte die Fähe dieses Jahr gewölft haben, könne man von einer Rudelgröße zwischen sechs und zehn Tieren ausgehen.

Füchse markieren über Wolfslosung
„Andere Hundeartige oder andere Prädatoren können die DNA des Wolfes überlagern, auch bei Rissen“, erklärt Reding. „Wenn der Fuchs als Nachnutzer da ist, hinterlässt der natürlich seine DNA über der Wolfs-DNA.“ Das passiert auch bei Losungen häufig.
Füchse und Hunde markieren über die Wolfslosung. Ein unterschätztes Problem. Wolfsmonitoring wird erst seit etwa 20 Jahren betrieben, dadurch ist die Forschung noch nicht auf einem vergleichbaren Niveau wie die menschliche Genomanalyse.

Fotofallen wurden schon sabotiert
Der Wolfsbeauftragte macht sich inzwischen an einer Fotofalle zu schaffen, die er an einer anderen Stelle positionieren möchte. An den Wegen, wo sich die Raubtiere gerne und oft zum Markieren ihrer Territorien aufhalten, kann er die Kameras nicht mehr guten Gewissens lassen. Mehr als einmal hat sie ein Unbekannter manipuliert, aus diesem Grund hängen sie nun in den dichteren Beständen und weiter oben. Reding arbeitet in Niedersachsen eng mit den Jägerschaften zusammen und koordiniert die Wolfsberater. Für ihn ist der Schlüssel zu einer wertschätzenden Zusammenarbeit die Kommunikation.
Wenn er in ein Revier möchte, spricht er dies im Vorfeld mit den Hegeringen ab. Die Arbeit des Überwachsens und Aufzeichnens ist wichtig für alle. Nur ein vernünftiges Monitoring kann einen realitätsnahen Einblick in die Wolfsbestände ablichten. Durch diese kann ermittelt werden, wann ein gesunder Erhaltungszustand erreicht ist, was wiederum eine saubere Bejagung ermöglichen könnte. Ein unvollständiges Erfassen der Daten rund um den Wolf kann dazu führen, dass die Populationszahlen auf dem Papier niedriger erscheinen, als sie es in der Realität sind, was wiederum ein falsches Bild zeichnet. Politik und Behörden, die sich auf die Daten aus der Erfassung stützen, könnten dadurch ein Bejagungskonzept erschweren.

Wolf die am besten überwachte Wildtierart
Trotz aller Defizite, die noch bestehen, ist der Wolf in Deutschland die am besten überwachte Wildart und gerade in Niedersachsen sind die gesammelten Daten abrufbar: Wolfsschäden, Territorien, Standards, FFH-Berichte, Kriterien zur Feststellung des Erhaltungszustandes – alles ist nahezu tagesaktuell im Internet verfügbar. Wichtig bleibt dabei, dass die ermittelten Werte nur ein Richtwert sein können, eine Kombination aus einem – auf Grundlage der Daten – Mindestbestand und dem Extrapolationswert, also einem Schätzwert, der sich aus beobachteten Entwicklungen ergibt.

Auf dem Rundgang ist der Wolfsbeauftragte wieder einmal in die Hocke gegangen: „Hier haben wir zum Beispiel eine Wolfsspur. Hier sieht man den Hinterballen. Was man hier noch sehr gut sehen kann, ist der schräge Trab. Die Schrittlänge, das heißt von einem bis zum übernächsten Trittsiegel, beträgt 150 cm und das deutet schon auf einen großen Wolf hin. Die müssen mindestens 110 cm lang sein, um vom Wolf zu sein“, weiß der Wolfsbeauftragte zu berichten.
Mit dem Zollstock deutend, erläutert er: „Eine Länge ohne Krallen von zehn oder elf Zentimetern und eine Breite von neun Zentimetern. Da können wir, ohne uns weit aus dem Fenster lehnen zu müssen, sagen, das ist vom Wolf.“ Der Hinterfuß ist deutlich kleiner als der Vorderfuß.

Geschnürter Trab ist guter Hinweis auf Wölfe
Auch Wölfe schnüren. An der Positionierung der Trittsiegel kann man erkennen, in welchem Modus sich der Wolf zu diesem Zeitpunkt befand. Im geschnürten Trab sind die Raubtiere auf ein Ziel hin fokussiert und ignorieren potenzielle Beute am Wegesrand. Wenn die Trittsiegel hin und her gesetzt sind, ist der Wolf im Jagdmodus. Reding klappt den Zollstock zufrieden zusammen und gibt an: „Jetzt haben wir die zwei häufigsten indirekten Hinweise gefunden.“ Dann ergänzt er: „Eigentlich ist jeder Wolf, der nachgewiesen wird, ein guter Wolf.“
Gut zu wissen: Hund vs. Wolf
Trittsiegel von Wölfen sind länglich-oval und länger als breit. Der Krallenabdruck ist kräftiger als beim Hund und das Siegel gerade ausgerichtet. Das Trittsiegel eines Hundes ist meist Regel kleiner und rundlicher. Auf längere Distanz hin ist der geschnürte Trab ein Hinweis auf Wolfspräsenz.
Bei der Losung lässt sich das Vorkommen von Haaren, Knochensplittern, Zähnen und Hufteilen als gutes Unterscheidungsmerkmal nennen. Auch die Platzierung der Losung (meistens exponiert in der Mitte des Weges) spielt eine Rolle. Ein eindeutiges Ergebnis kann nur eine genetische Untersuchung liefern.
Durch das breite Nahrungsspektrum ist die Losung von Goldschakalen schwer zu identifizieren. Rückstände von Beutetieren (z.B. Haare und Knochensplitter) charakterisieren die Losung.