Luchs: Wie steht es um den Beutegreifer in Deutschland?

Was hat es eigentlich mit der pinselohrigen Katze auf sich, wie gestaltet sich ihr Lebensraum und wie kann ein Zusammenleben mit dem großen Beutegreifer in Zukunft aussehen?
Luchse benötigen eine ausreichende Beutetierdichte und Deckung für die Jungenaufzucht sowie zur erfolgreichen Jagd.
Luchse benötigen eine ausreichende Beutetierdichte und Deckung für die Jungenaufzucht sowie zur erfolgreichen Jagd.

Der 17. März 1818 ist ein grauer Tag für den europäischen Luchs im Harz. Nach einer langwierigen und gnadenlosen Jagd, die im Übrigen sehr gut dokumentiert ist, wird der letzte Luchs an diesem Tag erlegt. Heute zeugt ein Gedenkstein bei Lautenthal von dem historischen Ereignis.

Knapp 200 Jahre später, in einer Sommernacht des Jahres 2000, schleicht in aller Heimlichkeit und doch unter strenger Beobachtung eine große Katze mit geflecktem Fell aus einem Gehege und wird zum Startschuss für ein deutschlandweit einzigartiges Projekt: Die große Katze mit den charakteristischen Pinselohren soll im Harz wieder heimisch werden.

Zwischen den Jahren 2000 und 2006 werden 24 Luchse aus unterschiedlichen Gehegenachzuchten im Nationalpark ausgewildert. Inzwischen ist eine Population mit rund 110 Tieren entstanden — 90 davon leben immer noch im Harz. Die Entwicklung der Harzer Luchspopulation ist damit ein großer Erfolg und zeigt, dass der waldgebundene Luchs auch in halboffenen Kulturlandschaften leben kann.

Angeblich sollen die Pinselohren den Gehörsinn unterstützen oder dabei helfen, die Windrichtung einzuschätzen. Eine schlüssige Theorie hierzu gibt es allerdings noch nicht.
Angeblich sollen die Pinselohren den Gehörsinn unterstützen oder dabei helfen, die Windrichtung einzuschätzen. Eine schlüssige Theorie hierzu gibt es allerdings noch nicht.

22 Jahre lückenlose Projektarbeit

Das Projekt ist von der ersten Minute an eng mit dem Land Niedersachsen und der Landesjägerschaft Niedersachsen verwoben. Die Mitarbeit der Jägerschaft, deren Expertise und Engagement in den Bereichen Monitoring und Erfassung, ermöglicht einen reibungslosen Fortbestand des Projektes. Fotofallen, Spurfunde, Rissgutachten und Telemetrie sind nur einige der Monitoringmethoden, durch die die Luchsbestände im Harz und dessen Umgebung kontrolliert werden.

Reproduktionsgeschehen und Wanderbewegungen werden erfasst und liefern ein facettenreiches Bild zur Lebensweise des Pinselohrs. Ehrenamtliche Luchsberater, die im Harz allesamr Jäger sind, stehen rund um die Uhr bei Fragen und Anliegen parat. Für die involvierten Jäger ist der Beitrag zur Arterhaltung eine selbstverständliche Verantwortung.

Luchswelpen bleiben rund zehn Monate bei der Mutter.
Luchswelpen bleiben rund zehn Monate bei der Mutter.

Internationale Luchstagung am 10. Mai 2023

Im Rahmen der Internationalen Luchstagung am 10. Mai 2023 trafen sich Experten aus ganz Europa, um den Status quo des Luchses zu bestimmen. Über mehrere Tage wurden Themen wie genetische Vielfalt oder der Umgang mit verwaisten Luchswelpen besprochen.

Nach über 20 Jahren entstehen nun Auswilderungsprojekte in Thüringen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Baden-Württemberg, die die Luchspopulationen in Mitteleuropa vernetzen. Denn ein Problem bleibt bestehen: die langsame Ausbreitung der Poplation und die daraus resultierende genetische Verarmung. Ole Anders ist Koordinator des „Luchsprojektes Harz“ und hat sich bereit erklärt, dem Niedersächsischen Jäger einige Fragen rund um den Luchs zu beantworten.

Ole Anders ist Projektkoordinator im „Luchsporjekt Harz“.
Ole Anders ist Projektkoordinator im „Luchsporjekt Harz“.

NJ: Wo war der Luchs in Deutschland beheimatet?

Ole Anders: Ursprünglich kam der Eurasische Luchs (Lynx lynx) überall dort vor, wo in Deutschland größere Waldungen zur Verfügung standen.

NJ: Was führte zum Verschwinden des Luchses?

Ole Anders: In vergangenen Jahrhunderten sah man im Luchs vor allem einen „Vieh- und Wilddieb“. Das nahezu vollständige Verschwinden des Luchses hat daher viel mehr mit einer aktiven Ausrottung als mit dem Verlust geeigneten Lebensraumes zu tun.

NJ: Wie groß sind die Reviere von Luchsen?

Ole Anders: Im Harz umfassen Streifgebiete weiblicher Luchse etwa 120 und die männlicher Luchse etwa 250 Quadratkilometer. Abhängig vom Nahrungsangebot, beispielsweise der Rehwilddichte, können diese Werte aber erheblich schwanken.

NJ: Sind Luchse Einzelgänger oder soziale Tiere?
Ole Anders: Luchse sind Einzelgänger. Die Katzen bringen den Nachwuchs im Mai/ Juni zur Welt. Ein Geheck besteht aus ein bis fünf (im Durchschnitt zwei) Welpen, die zehn Monate lang allein von der Mutter geführt werden. Mit Ausgang des Winters sind die Jungtiere dann bereits annähernd so groß wie die führende Katze. Die Mutterfamilie löst sich i. d. R. zwischen März und April auf.
NJ: Welche Bedingungen benötigt der Luchs?
Ole Anders: Die Habitatansprüche des Luchses sind nicht sehr komplex. Er benötigt eine ausreichende Beutetierdichte und Deckung für die Jungenaufzucht und zur erfolgreichen Jagd.

NJ: Was zählt zur Beute der Luchse?

Ole Anders: In Mitteleuropa bilden mittelgroße Huftierarten (Reh, Gämse) die Hauptbeutetiere des Luchses. Luchse können aber auch Rotwild, in einigen wenigen Fällen bis hin zur Größe eines Schmalspießers erbeuten. Schwarzwild kommt hingegen fast gar nicht im Beutespektrum der Harzluchse vor. Der Fuchs spielt darin eine kleinere Rolle. Mäuse und verschiedene Vogelarten finden sich zwar regelmäßig in Losungsproben von Luchsen, dürften aber aufgrund der geringen Körpermasse nur einen unerheblichen Teil zur Ernährung beitragen.

NJ: Wie jagt der Luchs?
Ole Anders: Die Hauptaktivitätsphase des Luchses liegt in der Dämmerung. Am Mittag erreicht die Aktivität den Tiefpunkt. Luchse sind Pirsch- und Lauerjäger, die entweder an geeigneten Stellen auf vorbeiwechselndes Wild warten oder sich in der Deckung heranpirschen. Da Luchse nicht ausdauernd schnell laufen können, erfolgt die Attacke auf ein Beutetier immer aus kurzer Distanz mit sehr hoher Energie und Geschwindigkeit. Der Luchs nutzt den Überraschungseffekt. Wird er frühzeitig entdeckt, bricht er den Jagdversuch häufig ab. Das schreckende Reh sendet quasi das Signal, dass der Luchs entdeckt und die weitere Jagd sinnlos ist.
NJ: Wie tötet der Luchs?
Ole Anders: Der sehr kraftvolle Tötungsbiss wird vom Luchs zielgenau knapp unterhalb des Hauptes in die Drossel platziert und das Opfer so erstickt. An einem vom Luchs gerissenen Stück Schalenwild finden sich daher mit Ausnahme des typischen Tötungsbisses wenige oder gar keine Verletzungen. Größere Beutetiere schneidet der Luchs an den muskelfleischreichen Körperpartien (meist an der Keule) an. An einem erwachsenen Reh frisst ein Luchs ca. drei bis sieben Tage. Häufig hält er sich in der Nähe der Beute auf. Er verblendet Beutereste mit Streu, Schnee o. Ä. und hinterlässt dadurch einen recht typischen Fraßplatz. Übrig bleiben meist nur die groben Knochen und die Decke. Auch der Pansen wird nicht gefressen.

NJ: Wie verhält es sich mit den Sinnen bei Luchsen? Man sagt ja, Ohren und Augen wie ein Luchs.

Ole Anders: Die beiden Sinne sind beim Luchs tatsächlich sprichwörtlich und deutlich besser entwickelt als beim Menschen. Luchse können Entfernungen und Geschwindigkeiten sehr gut einschätzen. Sie riechen deutlich besser als der Mensch, haben aber einen deutlich schlechteren Geruchssinn als Hunde.

NJ: Welche jagdlichen Herausforderungen entstehen, wenn der Luchs wieder heimisch wird?
Ole Anders: Im Mitteleuropa ist das Reh die Hauptbeutetierart des Luchses. Grundsätzlich fallen dem Luchs etwa ein bis zwei Rehe pro 100 ha zum Opfer. In vielen niedersächsischen Revieren wird dies nur einen mäßigen Einfluss auf die Rehbestände haben. Die Jagd des Luchses führt jedoch auch zu einer Verhaltensänderung des Rehwildes. Luchsinnen sind nach der Geburt der zunächst nicht mobilen Jungtiere für einige Wochen an den Geheckplatz gebunden, bevor sie wieder ihr gesamtes Streifgebiet nutzen. In dieser Zeit konzentrieren sich auch die Risse auf einen engeren Radius. Der Luchs hat damit einen Einfluss auf die menschliche Jagd, der je nach Jahreszeit, landschaftlichen Gegebenheiten und Wildbestand unterschiedlich groß ausfallen kann. Mit dem Luchs zu jagen, kann eine Herausforderung sein, da bisher effiziente Strategien überdacht werden müssen und vielleicht auch das eine oder andere Reh auf der Strecke fehlt.
NJ: Gibt es Konflikte mit Nutztierhaltern?
Ole Anders: Nutztierrisse durch den Luchs kommen in jedem Jahr vor, halten sich aber insgesamt in einem überschaubaren Rahmen. Das Land Niedersachsen musste bislang in keinem Jahr mehr als 4.000 Euro aufwenden, um Nutztierrisse durch den Luchs zu kompensieren. Durch den Luchs gefährdet sind vor allem Schafe, Ziegen und Wild in Gehegen. Während von Luchsangriffen auf Schaf- und Ziegenherden, abgesehen von einigen Ausnahmen, meist nur wenige Tiere betroffen waren, kam es in der Vergangenheit zu wiederholten Angriffen eines Luchses auf dasselbe Wildgatter. Bislang konnten im Austausch mit den Betroffenen immer relativ schnell Lösungen gefunden werden, um Verluste zu minimieren oder auszuschließen.
NJ: Wie könnte man Risse vermeiden?
Ole Anders: Der Luchs kann sehr hoch springen und klettern, wohingegen er Zäune nicht untergräbt. In der Wildgehegehaltung können bestehende Zäune mit wenigen Elektrolitzen effektiv gesichert werden. In der Wanderschafhaltung können gut elektrifizierte Netzgeflechtzäune zwar das Risiko von Luchsangriffen verringern, einen verlässlichen Schutz gegen den Luchs bieten sie aber nicht. Es trägt zur Risikominimierung bei, wenn Koppeln nicht unmittelbar am Waldrand oder anderer Vegetation errichtet werden, um dem Pirsch- und Lauerjäger die unbemerkte Annäherung an die Herde zu erschweren.
NJ: Wie geht der Luchs mit Klimaveränderungen um?
Ole Anders: Ein Großteil der flächendeckend im Harz vorkommenden Fichtenbestände sind abgestorben. Die derzeit auf diesen Flächen aufwachsende Vegetation wird für das Wild innerhalb kurzer Zeit nicht nur sehr viel Nahrung, sondern auch Deckung bieten und es für den menschlichen Jäger schwer erreichbar machen. Der Luchs wird vermutlich von diesen neuen Bedingungen sogar profitieren, da das Nahrungsangebot größer wird und Deckung reichlich zur Verfügung steht.
NJ: Hat der Luchs eine Chance?
Ole Anders: Der Luchs hat in Deutschland eine Chance. Problematisch ist die aufgrund der geringen Wanderbereitschaft weiblicher Tiere nur langsame Ausbreitung von Luchspopulationen. Um die Art bei uns zu erhalten, sind in den nächsten Jahren Maßnahmen erforderlich, um das Inzuchtgeschehen in den Griff zu bekommen und den genetischen Austausch zwischen den kleinen und bislang weitgehend isolierten Populationen zu fördern.
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