Luchs tötet Wolf: Die Geschichte hinter den Wildkamerabildern

Was passiert, wenn Luchse und Wölfe in einem Lebensraum aufeinandertreffen? Gehen sie sich aus dem Weg? Oder kommt es zur Konfrontation der beiden Großräuber?
|
02. Januar 2023
Jetzt einen Kommentar verfassen
Eine Begegnung zwischen Luchs und Wolf, letzterer hat diese nicht überlebt.Die körperlich ähnlich starken Tiere konfrontieren sich.
Eine Begegnung zwischen Luchs und Wolf, letzterer hat diese nicht überlebt.Die körperlich ähnlich starken Tiere konfrontieren sich.

Beziehungen zwischen verschiedenen Prädatoren eines Lebensraumes sind genauso normal, wie die zwischen Räubern und ihrer Beute. Raubtierarten, die sympatrisch (nebeneinander) in einem Lebensraum vorkommen, beeinflussen sich dabei auf direktem und indirektem Weg. Denn obwohl eine ökologische Nische nur einmal besetzt werden kann, kann es zu mehr oder weniger starken Konkurrenzsituationen kommen. Umso ähnlicher sich zwei Raubsäuger dabei sind, desto größer ist diese.

Ist der eine zum Beispiel der deutlich effektivere Räuber, wird dies zu einer Verdrängung des anderen führen. Aber auch Lebensraumveränderungen können zu Verschiebungen führen. Als im 17. Jahrhundert beispielsweise große Teile Nordamerikas zugunsten landwirtschaftlicher Nutzflächen gerodet wurden, breitete sich der Rotfuchs weiter aus, während der Graufuchs dort verschwand (MacDonald 1993). Selbst das Klima kann dazu führen, dass eine Art begünstigt wird, wie die Konkurrenz zwischen Polar- und Rotfuchs in arktischen Bereichen belegt.

Konkurrenz unter Fuchsarten – Verdrängungsmechanismen

Wissenschaftlich sehr gut untersucht sind die Konkurrenzverhältnisse unter verschiedenen Fuchsarten, die in gleichen Lebensräumen vorkommen. Selbst wenn diese unterschiedliche Beutetiere nutzen, werden durch die Tiere Gelegenheiten genutzt, den jeweils anderen zu töten.

Auf mehreren der verschiedenen Aleuten Inseln (nordpazifische Beringsee) wurden in den 1920-er und 30-er Jahren unter anderem Rotfüchse ausgesetzt, um sie später als Rauchwerk zur Pelzherstellung gewinnen zu können. Die dort vorher lebenden Eisfüchse wurden dadurch restlos von den betreffenden Inseln verdrängt.

Auf einer kleineren Insel verdrängte sogar ein einzelner Rotfuchs sämtliche ansässigen Eisfüchse (MacDonald 1993).

Eine weitere Form der Verdrängung existiert, wenn es zu direkten Interaktionen unter den Räubern kommt. Denn Räuber stellen anderen Räubern aktiv nach und töten diese auch gegebenenfalls, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet. Dies ist besonders dann der Fall, wenn wenig Beutetiere vorhanden sind. Auf isolierten Inseln kommt es oft zu einer besonderen Konkurrenzsituation.

Ein starker Luchs erkundet ein Wolfslager.
Ein starker Luchs erkundet ein Wolfslager.

Bei den aktiven Interaktionen zwischen Räubern lassen sich verschiedene Formen nachweisen. Die Beziehung kann symmetrisch (beide Arten töten sich gegenseitig) oder asymmetrisch sein (nur eine Art tötet die andere) (Palomare & Caro 1998). In einigen Fällen existieren auch Verhältnisse, bei denen nur die Jungtiere der jeweils anderen Art getötet werden. Die Regeln, wonach getötet wird, ergeben sich aus den jeweiligen Kräfteverhältnissen. Der große Räuber tötet in der Regel den Kleineren. Bei gemeinschaftlich jagenden Wildarten, kann es jedoch dazu kommen, dass die kleinere Art einen größeren Räuber angreift und tötet. Interessanterweise können dabei um das vielfache größere Räuber (12-fache) überwältigt werden (Earle 1987). In etwa der Hälfte der Fälle wird der getötete Räuber anschließend auch als Nahrung genutzt (Palomares & Caro 1998).

Alarmiert nähert sich ein Wolf, um den Luchs zu stellen.
Alarmiert nähert sich ein Wolf, um den Luchs zu stellen.

In einer großangelegten nordamerikanischen Studie wurden die komplexen Verhältnisse zwischen verschiedenen Raubtierarten untersucht (Newsome & Ripple 2014). Grundlage der Untersuchung waren großräumige Fangergebnisse von Trappern der zurückliegenden Jahrzehnte. Bei der Analyse stellte sich heraus, dass dort, wo Wölfe zahlreich waren, auch verhältnismäßig viele Füchse vorkamen. Die Verdrängung der Wölfe aus den südlichen Teilen Nordamerikas hat wiederum dazu geführt, dass sich in diesen Gebieten vermehrt Koyoten etablieren konnten.

Diese wiederum verdrängen die Rotfüchse. Dies unterstreicht die Tatsache, dass der Verdrängungseffekt am stärkten ist, je ähnlicher sich die Arten sind. Obwohl Wölfe auch Füchse töten, ist der Einfluss des Wolfes auf den Fuchs insgesamt deutlich geringer. Reineke profitiert in diesem Fall also von der Anwesenheit des Wolfes.

Komplizierte Wechselwirkung

Im Rahmen eines Forschungsprojektes wurden im weißrussischen Naliboki-Waldgebiet in den zurückliegenden Jahren hoch interessante Interaktionen zwischen Luchs und Wolf dokumentiert. Festgestellt wurde dabei zunächst, dass Wölfe verstärkt Markierungspunkte von Luchsen aufsuchten. Die kameraüberwachten Holzpfähle an denen die Markierungen der Luchse zu finden waren, wurden durch die Wölfe an den betreffenden Stellen angeschnitten. Setzten die Luchse Urinmarkierungen auf der Erde ab, wurden an diesen Plätzen durch die Wölfe Löcher gegraben bzw. eigener Urin abgesetzt. Die Biologen interpretieren die Reaktion der Wölfe als eine Art Vergrämung. Denn tatsächlich wurden diese Plätze durch den Luchs später gemieden und nicht mehr als Markierungsort genutzt.

Es kommt zum Kampf – festgehalten von einer Wildkamera.
Es kommt zum Kampf – festgehalten von einer Wildkamera.

Generell meiden Luchse Offenflächen, so die Wissenschaftler um den weißrussischen Forscher Prof. Vadim Sidorovich, wenn dort verstärkt Wölfe anzutreffen sind. Ohne Bäume, fehlt ihnen dort eine sichere Fluchtmöglichkeit in erreichbarer Nähe. Im Wald selbst wurden dennoch mehrfach direkte Interaktionen zwischen beiden Arten festgehalten. So wurden Luchse wiederholt an Lagern der Wölfe angetroffen. In einem gut dokumentierten Fall wurden Luchsangriffe auf den Rudelnachwuchs nachgewiesen. Das Wolfsrudel bestand zu diesem Zeitpunkt aus insgesamt drei trächtigen Fähen und zwei ausgewachsenen Rüden. Nach dem Wölfen der Welpen wurden innerhalb von nur zwei Wochen alle drei Würfe von einem großen Kuder getötet. In einem Fall befand sich die Wölfin sogar in der Höhle. Nach Angaben der Wissenschaftler flüchtete diese jedoch nach dem Erscheinen des Luchses, der später alle Welpen tötete.

Luchse gehen zum Angriff über

Neben Welpen und subadulten Tieren haben die Forscher Hinweise darauf, dass es im Naliboki Waldgebiet immer wieder auch zu Angriffen von Luchsen auf ausgewachsene Wölfe kommt. In diesem Zusammenhang zu erwähnen, ist die Tötung zweier hochträchtiger Wolfsfähen und einer Wolfsfähe mitsamt ihrer Welpen.

In einer anderen Situation konnte eine aggressive Auseinandersetzung zwischen einem Wolf und einem Luchs direkt dokumentiert werden. Das Aufeinandertreffen an einem von beiden Arten regelmäßig genutzten Forstweg, wurde zufällig mittels Kamerafalle aufgenommen.

Der Wolf unterliegt – durch einen Kehlbiss schwer verletzt verendet das Tier.
Der Wolf unterliegt – durch einen Kehlbiss schwer verletzt verendet das Tier.

Die Aufzeichnungen dokumentieren dabei, wie der Luchs zunächst ein Wolfslager erkundet, bevor einer der alarmierten Wölfe das Tier stellt. Die beiden gleichgroßen Räuber stehen sich zunächst drohend gegenüber und schätzen den Gegner ab. Aus den anschließenden Bildern lässt sich rekonstruieren, dass der Luchs den Wolf während des Kampfes auf den Rücken wirft und diesen dann im Bereich des Bauchraumes attackiert. Die Biologen gehen davon aus, dass der betreffende Wolf später an seinen schweren Verletzungen verendete, da er danach nie wieder im Untersuchungsgebiet nachgewiesen werden konnte. Andere Wölfe wurden mit vergleichbaren Verletzungen verendet aufgefunden. Neben Verdachtsfällen haben die Forscher zahlreiche belegbare Wolfstötungen durch Luchse zusammengetragen (siehe Kasten unten).

Luchse hemmen Ausbreitung von Wölfen

Prof. Vadim Sidorovich ist überzeugt, dass Luchse (insbesondere die ausgewachsenen Kuder) durch die Tötung von Wolfswelpen oder trächtigen Wolfsfähen die Reproduktion des Wolfes unterdrücken und damit sogar Einfluss auf die Populationsdynamik der Großräuber nehmen können.

Wie die Beispiele aus Weißrussland eindrücklich nahelegen, kann regional dabei nach seiner Auffassung durchaus ein Effekt auf die Ausbreitung des Wolfes ausgeübt werden. Inwieweit der Luchs auch in Deutschland in der Lage sein könnte, auf die Ausbreitung des Wolfes Einfluss zu nehmen, ist eine interessante Fragestellung, die die Wissenschaft in den nächsten Jahren zu beantworten haben wird.

Dokumentierte Wolfstötungen

Die weißrussischen Forscher im „Naliboki Forest“ haben zahlreiche Belege für Wolfstötungen durch Luchse. Aufgrund der räumlichen und zeitlichen Verschiedenheit der Ereignisse kann dies nicht auf einen einzelnen „Killerluchs“ zurückgeführt werden.

  • insgesamt acht Wolfswelpen im Alter von 2–11 Monaten (1997–2015)
  • zwei hoch trächtige Wolfsfähen (1997–2015)
  • zwei Würfe (unter einem Monat alt) (2016 und 2017), sehr wahrscheinlich sind zwei weitere getötete Würfe ebenfalls auf einen Luchsangriff zurückzuführen
  • ein kompletter Wurf und ihre Fähe (2016)
  • adulter Wolf durch einen Luchs verwundet und später wahrscheinlich daran verendet (2017)
Weitere Funktionen
Zu den Themen
Kommentieren Sie