Auch wenn die Schwarzwildstrecke im Jagdjahr 2020/21 wohl deutlich hinter dem Ergebnis des Jahres davor zurückblieben, darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Bestände auf einem konstant sehr hohen Niveau bewegen. Im Vergleich dazu bewegten sich die Schwarzwildstrecken im Jagdjahr 2021/22 erneut auf einem deutlich höheren Nivaeu. Daraus resultiert, dass ungeachtet jährlicher Schwankungen die Schwarzwildstrecken in den zurückliegenden Jahrzehnten um mehrere 100% anstiegen sind. Die Ursachen dafür sind komplex. Der Faktor Nahrung übernimmt in diesem Zusammenhang jedoch eine Schlüsselrolle.

Reproduktion: Beispiel Feldhase
Grundsätzlich versucht jedes Individuum, so viele Nachkommen wie es seine Verfassung zulässt zu reproduzieren. Wo die Grenze liegt, ist in hohem Maße von den Nahrungsvoraussetzungen abhängig. Ein kleines Beispiel soll behilflich sein, diesen Zusammenhang zu verdeutlichen. Während Feldhasen in unseren Breitengraden durchschnittlich drei bis vier Würfe pro Jahr produzieren, können es an seinem südlichen Verbreitungsgebiet fünf bis sechs sein. Im hohen Norden hingegen reduziert sich die Zahl der Würfe auf zwei. Arktische Hasen reproduzieren sogar nur einmal im Jahr.
Die Reproduktion korrespondiert mit der Länge der Vegetationsperiode, also der Verfügbarkeit von Nahrung. Die Hasen versuchen das jeweilige Maximum aus der ihnen zur Verfügung stehenden Vegetationszeit heraus zu holen und dies in Nachkommen umzusetzen.

Nahrung fördert Hormonbildung
Vergleichbare Zusammenhänge lassen sich auch bei Sauen feststellen. Wie sich der Faktor Nahrung auswirkt, kann dabei auch auf der Individuenebene gezeigt werden. Jede Bache versucht die größtmögliche Zahl an Frischlingen „zu produzieren“. Dabei existiert ein direkter Zusammenhang zwischen energiereicher Nahrung und der Ovulationsrate.
Entscheidend dafür ist die Beteiligung zweier Hormone: das luteinisierende Hormon (LH) und das Follikel stimulierende Hormon (FSH). Sie regeln Rausche und Zyklus. Durch die Versorgung des Körpers mit energiereicher Kost (insbesondere stärke- und zuckerhaltigem Fraß), kommt es zu einem Anstieg des Insulinspiegels, wodurch sich die Zahl der ovulierten Eier erhöht.

Reproduktion abhängig von Lebensraum
Das bedeutet, dass sich eine günstige Versorgung des Körpers direkt auf die Zahl der Frischlinge auswirkt – die Reproduktion wird über das Futter angekurbelt. Je mehr Nahrung also zur Verfügung steht, desto erfolgreicher kann sich unser Schwarzwild vermehren. Landwirte nutzen diesen Effekt im Übrigen ganz gezielt, um die Rausche bei Hausschweinen zu verbessern und die Zahl der Ferkel pro Sau zu erhöhen. Nach dem gleichen Prinzip wirken auch unsere aus nahrungsökologischer Sicht hochpotenten Kulturlandschaften auf unsere wilden Sauen.
Das Reproduktionsmaß erfolgt also in Abhängigkeit vom Lebensraum bzw. seiner Kapazität, Nahrung zur Verfügung stellen zu können. Neben der Nahrung spielen natürlich noch weitere Faktoren eine Rolle (u. a. Deckung und Wasser). Der Fraß ist für die Sauen jedoch der bestimmende Faktor und die zentrale Bedingung für hohe Dichten.

Nahrung beeinflusst Schwarzwilddichte
Grundsätzlich sind in unseren Lebensräumen Dichten von 20-30 Sauen pro 100 ha möglich. Pittiglio et al. (2018) fanden bei ihren Untersuchungen sogar bis zu 43 Wildschweine/100 ha. Unter extrem günstigen Verhältnissen sollen auf der gleichen Fläche sogar bis zu 60 Wildschweine möglich sein (Heptner et al. 1966). Auch wenn diese Aussagen nicht zu verallgemeinern sind, kann davon ausgegangen werden, dass unter bestimmten Voraussetzungen hohe Bestände realisiert werden können.
Hoher Energiepflanzenanteil und nahezu jährliche Mast sorgen dafür, dass unsere Kulturlandschaften bezüglich der Verfügbarkeit von Nahrung so potent sind, wie kaum ein anderer Lebensraum der Erde. Neben der hohen Zahl an Frischlingen pro Wurf, wird von einigen Jägern seit einiger Zeit ein weiteres Phänomen vermutet - das zweimalige Frischen innerhalb eines Jahres. Auch wenn diese Erscheinung in freier Wildbahn wissenschaftlich bislang nicht belegt ist, gelang es bereits, sie in einem Gatterversuch nachzuweisen (Philipps 2013). Damit ist die grundsätzliche Möglichkeit bewiesen, dass mehrmaliges Frischen auch bei Schwarzwild möglich ist. Tatsache ist, dass sich das Vermehrungspotential des Schwarzwildes dadurch erheblich erhöhen würde.
Die häufiger führenden Bachen schützen sich damit verstärkt vor jagdlichem Zugriff, da sie erneut Muttertierschutz genießen. Noch dürfte es sich jedoch um seltene Ausnahmen handeln. Dem unstrittig hohen Vermehrungspotential des Schwarzwildes steht eine mehr oder weniger hohe natürliche Mortalität gegenüber. Unter normalen Umständen spielt diese in unseren Breiten nur eine untergeordnete Rolle. Sie greift jedoch dann, wenn sich eine Wildtierpopulation an der Grenze der Tragfähigkeit des Lebensraumes bewegt ganz automatisch.
Regulation durch Krankheiten?
Als Regulatoren fungieren Krankheiten. Beim Schwarzwild übernimmt die Räude (siehe Kasten) eine entscheidende Rolle. Diese Parasitose betrifft besonders Stücke, die als Folge von Unterversorgung mit Nahrung bei schlechter Kondition sind. Dieser Zustand tritt bei vielen Mitgliedern einer Population dann ein, wenn die zur Verfügung stehenden Ressourcen aufgebraucht sind. Zusätzlich zur Räude kommt es dann zu sekundären Infektionen, die oft den Tod des Stückes zur Folge haben. Im Ergebnis führt dies zu einem mehr oder weniger starken Zusammenbrechen der Population.
Krankheiten bei Überpopulation: Räude als natürlicher Regulationsmechanismus
Auslöser der Krankheit ist eine zu den Spinnentieren gehörende Grabmilbe. Beim Wildschwein handelt es sich um die Art Sarcoptes suis. Die bei Fuchs und Gams vorkommenden Räudeerkrankungen werden durch andere jeweils wirtspezifische Grabmilbenarten ausgelöst. Die Übertragung der bis zu 0,5 Millimeter großen Milbe erfolgt durch direkten Körperkontakt. Die Befruchtung findet auf der Hautoberfläche des Schwarzkittels statt. Danach gräbt sich die weibliche Milbe unter Zuhilfenahme von Verdauungssäften in die Haut des Wirts ein. Die Ernährung erfolgt ausschließlich über Gewebsflüssigkeiten.
Die Milbe dringt dabei bis in den untersten Teil der Oberhaut vor, wo sie in einem Zeitraum von vier bis sechs Wochen täglich bis zu drei Eier ablegt. Der gesamte Entwicklungszyklus dauert bei Männchen zwei und beim Weibchen drei Wochen. Bei leichtem Befall kommt es nur zu geringen Beeinträchtigungen für das Tier. Auch das vollständige Ausheilen der Räude ist möglich. Schwerere Fälle können zum Tod des Stücks führen. Bei Massenbefall kann es jedoch zu Sekundärinfektionen kommen.
Treten bedenkliche Merkmale auf, muss das Stück einer Fleischuntersuchung zugeführt werden.
Die Ansteckung des Hundes und auch des Menschen ist möglich. Obwohl der Befall von Fehlwirten selten ist und die Milben kaum in der Lage sind, sich fortzupflanzen, sollte mit einem infizierten Schwarzkittel sorgsam umgegangen werden. Im lebenden Bestand sollte sich die Bekämpfung auf die Erlegung erkrankter Tiere konzentrieren.
Selektionsdruck durch Jagd
Ein Wildtier wird stets „versuchen“, eine maximale Zahl an Nachkommen zu hinterlassen. In der Evolution geht es allein darum, eigenes genetisches Material in die nächste Generation zu überführen. Unser Schwarzwild setzt die günstigen Lebensraumbedingungen, die es bei uns vorfindet, optimal in Frischlinge um. Dieser Entwicklung versuchen wir durch jagdliche Mortalität entgegenzuwirken. Dabei gilt, dass Jagd selber wiederum einen Einfluss auf die Reproduktion ausübt.
Vermehrt früh rauschende Bachen
So erzeugt u. a. Jagd einen Selektionsdruck, dass Bachen noch früher geschlechtsreif werden. In diesem Zusammenhang kann stetiges Vorverlegen der ersten Rausche bei Bachen festgestellt werden. Zum Vergleich werden in unbejagten Beständen Frischlinge selten rauschig, auch wenn sie ein Gewicht von 25-30 Kilogramm erreicht haben. Werden Populationen allerdings straff bejagt, führt dies zu einem geringen Durchschnittsalter.
Frischlingsbachen, die früh reproduzieren, genießen hier einen entscheidenden Vorteil. Denn während sie sich vermehren können, kommen spät rauschig werdende Bachen in den meisten Fällen gar nicht erst dazu. Dies führt zu dem Effekt, dass Bachen nach und nach immer zeitiger frischen und diese Fähigkeit auch auf ihre Nachkommen weitergegeben, während die anderen verschwinden.
Synchronisation statt Rauschunterdrückung: Leitbache als Reproduktionsbremse?
Oft wird diskutiert, dass die Leitbache die Reproduktion der Rotte kontrollieren würde und es auf diese Weise zu einer natürlichen Bremse der Fortpflanzung kommt. Demnach soll die Leitbache in der Lage sein, die Rausche anderer Bachen der Rotte zu unterdrücken. Tatsächlich ist die Leitbache jedoch lediglich in der Lage, für eine gewisse Synchronisation der Rausche zu sorgen. Ein wissenschaftlicher Beleg für eine Rauschunterdrückung existiert nicht.
Im Gegenteil hat die Leitbache gar kein Interesse daran, die Reproduktion der Bachen ihrer Rotte zu unterdrücken. Der Grund dafür ist einfach: Im Allgemeinen ist sie mit allen Rottenmitgliedern eng verwandt. Das bedeutet, dass sie selber auch eng mit den Nachkommen anderer Bachen der Rotte verwandt ist. Diese Frischlinge erhöhen also auch den Anteil ihrer Gene in der nächsten Generation.
Selbstregulation ist keine reale Option
Dies darf jedoch nicht zu der Vorstellung führen, in puncto Schwarzwild ernsthaft auf Selbstregulation setzen zu wollen. Denn diese greift erst dann, wenn sich eine Population an der Grenze der Tragfähigkeit ihres Lebensraumes bewegt. Was zählt, ist die Zahl an Stücken pro Flächeneinheit. Fakt ist, dass die Populationsgrenze in unseren Kulturlandschaften enorm hoch ist und die Folgen dieser Dichten für das System ökologisch und wirtschaftlich immens wären. Die Schlussfolgerung lautet deshalb: Schwarzwildjagd ist in Kulturlandschaften alternativlos.