Das Wissen um die visuelle Wahrnehmung seitens der Wildtiere ist für den Jäger von zentraler Bedeutung. Denn um möglichst unerkannt zu bleiben, sollte er sich stets darüber im Klaren sein, was die zu bejagenden Arten erkennen und was nicht. Gehörte es früher beispielsweise zum guten Ton, seine jagdliche Kleidung einfarbig grün zu halten, muss diese Entscheidung aus heutiger Sicht hinterfragt werden.
Denn was aus ästhetischen und traditionellen Gründen als schön und angemessen aufgefasst wird, kann aus jagdstrategischen Gesichtspunkten äußerst kontraproduktiv sein. Doch nicht nur mit Blick auf die Kleidung ist die optische Wahrnehmungsfähigkeit unserer Wildtiere von hoher Relevanz: Ob die Nutzung von Wildwarnreflektoren, der Einsatz von Taschenlampen mit verschiedenen Lichtfarben, Infrarotlicht bei Wildkameras und Nachtsichtgeräten - eine Vielzahl jagdlicher Hilfsmittel funktioniert mit Lichtquellen, die theoretisch vom Wild eräugt werden können und dadurch unseren Jagderfolg schmälern.

Wie funktioniert sehen?
Der Sehvorgang funktioniert bei allen Säugetieren auf dieselbe Weise: Nachdem der Lichtstrahl die Linse passiert hat, trifft er an der Rückwand des Auges auf die Retina, besser bekannt als „Netzhaut“. Diese verfügt über zwei verschieden lichtempfindliche Rezeptoren. Während die Zapfen für das Farbsehen verantwortlich sind, sorgen die Stäbchen für das Dämmerungs- und Nachtsehen.
Heimische Wildtiere haben üblicherweise einen deutlich höheren Anteil an Stäbchen. Beim Schalenwild beträgt er bis zu 90 Prozent. Zudem können diese Arten ihre Pupillen deutlich weiter öffnen als der Mensch. Das ermöglich ihnen, bei Nacht bis zu 100-mal besser zu sehen als wir!

Alles Eine Frage der Wellenlänge
Generell bestehen zwischen den Tierarten erhebliche Unterschiede in den jeweils wahrnehmbaren Wellenlängenbereichen. Dies hängt auch von der individuellen Ausstattung mit verschiedenen Zapfentypen und deren Lichtsensitivität ab. Wir Menschen und einige andere Primaten gehören zu den Trichromaten. Sie verfügen über drei Typen von Zapfen: rot-, grün-, und blauempfindliche. Schalenwild hingegen besitzt nur zwei Rezeptorentypen, es fehlen die rotempfindlichen Zapfen.

Eine bestimmte Rezeptorausstattung gibt also Hinweise auf eine potenzielle Farbwahrnehmung. Doch auch wenn Rezeptoren vorhanden sind, muss die Information neuronal nicht umgesetzt werden. Ob von einem Stück tatsächlich eine Wahrnehmung realisiert wird, ist letztlich nur auf der Grundlage von Verhaltensanalysen nachweisbar (Aman et al. 2012).
Untersuchungen an Huftieren und auch anderen Arten werden dabei üblicherweise auf der Grundlage von Konditionierungsexperimenten durchgeführt. Durch verschiedene Verhaltenstests wird dann analysiert, bei welcher Lichtfarbe (Wellenlänge) Reaktionen ausgelöst werden können.
Während das menschliche Auge einen Wellenlängenbereich von 400 bis 800 Nanometer (nm) abdeckt, haben Schalenwildarten eine Wahrnehmung, die etwa von 340 bis 630 nm reicht. Die größte davon findet sich bei ihnen im Bereich des blauen Lichtes.
Die optische Wahrnehmung der Cerviden ist damit perfekt an die Lichtverhältnisse der Dämmerung angepasst. Nicht umsonst wird sie auch „die blaue Stunde“ genannt. Rehe und Hirsch sind darauf angewiesen, das blaue Licht aus der Atmosphäre zu nutzen, um hell-dunkel Kontraste auch bei sehr geringer Lichteinwirkung zu erkennen. Aber auch Gelb- und Grüntöne werden wahrgenommen. Vermenschlicht könnte man bei unserem Schalenwild von einer rot-grün Schwäche ausgehen.
Wahrnehmung von Infrarotlicht bei Wildtieren
Da verschiedene optische Geräte (Nachtsichtgeräte, Wildtierkameras), die von Jägern eingesetzt werden, Infrarotlicht verwenden, ist die Wahrnehmung des Wildes für diesen Wellenlängenbereich von großem Interesse.
Infrarotlicht beginnt bei einer Wellenlänge von 780 nm. Demnach sollte diese Strahlung vom Wild grundsätzlich nicht wahrgenommen werden. Erfahrungen mit zum Beispiel Wildkameras mit entsprechenden Infrarot-Blitzen zeigen jedoch, dass Stücke immer wieder in Richtung der Kameras äugen, wenn diese auslöst, selbst wenn das Gerät geräuschlos arbeitet. Dies lässt die Vermutung zu, dass das Infrarotlichtspektrum durch das Wild erkannt wird. Tatsächlich ergeben sich auch wissenschaftliche Hinweise darauf, dass Infrarotlicht insbesondere im niedrigen Bereich wahrgenommen wird.
So wurde in einem Tierexperiment gezähmten Frettchen beigebracht, auf ein Lichtsignal hin eine Taste zu bedienen, um damit an einen Futterbrocken zu gelangen. Eine Verschiebung des Lichtes in den Infrarotbereich zeigte, dass diese Tierart offenbar zur Wahrnehmung dieses Lichtes bis etwa 870 nm in der Lage ist (Newbold & King 2009). Meek et al. 2014 kommen sogar zu dem Schluss, dass Infrarot von den meisten Säugern erkannt wird.
Menschen mit Adleraugen
Bekanntermaßen sind die Augen des Menschen den tierischen in vielerlei Hinsicht unterlegen. In einer neuen Untersuchung widmete man sich jedoch nochmals der Sehschärfe von Mensch und Tier (Caves et al. 2018). Die Forscher verglichen dabei nahezu 600 Arten, wobei sich Unterschiede im Schärfesehen um den Faktor 10.000 feststellen ließen. Während Insekten ein sehr verschwommenes Bild ihr Umwelt wahrnehmen, steigert sich die Schärfe des Sehens hin zu den Säugern deutlich.
Auch wenn eine exakte Vorstellung vom Sehen anderer Arten nicht möglich ist, schneidet der Mensch in diesem Vergleich sehr gut ab. Immerhin sehen wir nach den Untersuchungsergebnissen 30-mal schärfer als eine Ratte und noch 5-mal detailreicher als ein Hund. Lediglich einige Raubtiere- und Vögel haben ein noch schärferes Sehen. Aus den vielen Vergleichen zwischen menschlichem und tierischem Sehen geht der Mensch als Sehgeneralist hervor, der bei den meisten Sehfunktionen im vorderen Drittel abschneidet. Besonders ausgeprägt ist Farbensehen bei einigen Menschen durch eine Mutation. Einige Frauen besitzen statt der normalen drei Zapfentypen noch einen Vierten, der sie zu besonderem Farbsehen befähigt.
Das große Mysterium UV-Licht
Ähnliche Lücken weist das Wissen um die UV-Wahrnehmung bei unseren heimischen Wildtieren auf. Grundsätzlich ist die Fähigkeit zum Sehen von UV-Licht in der Tierwelt weit verbreitet. In der Wissenschaft ging man lange davon aus, dass Säugetiere bis auf wenige Ausnahmen dazu nicht in der Lage sind. Es wird vermutet, dass diese Fähigkeit bei den meisten dieser Arten zu einem frühen Zeitpunkt der Evolutionsgeschichte verloren gegangen ist. Denn tatsächlich sind Sehpigmente, die unterhalb von 380 nm wirken, auf wenige Arten beschränkt.
Eine mögliche Begründung dafür sieht die Wissenschaft darin, dass Licht in diesem Wellenlängenbereich zunehmende elektromagnetische Eigenschaften besitzt. Diese wiederum können bei anhaltenden Einflüssen zur Zerstörung von Farbpigmenten führen, ohne die Sehen unmöglich wäre. Insbesondere Arten, die viele Jahre alt werden können und damit einem langanhaltenden Einfluss ausgesetzt sind, sollten Augen besitzen, die gegen UV-Licht abgeschirmt sind.
Dennoch konnte man in der jüngeren Vergangenheit nachweisen, dass es Säugetiere gibt, deren Linsen UV-Licht passieren lassen und die sogar zu dessen Wahrnehmung in der Lage sind, auch wenn sie keine speziellen Rezeptoren dafür besitzen. Die Forscher vermuten, dass visuelle Pigmente UV-Strahlung bei ausreichendem Energieniveau absorbieren und somit eine UV-Licht Erkennung ermöglicht wird (Douglas & Jeffrey 2014).
Bessere Umweltwahrnehmung durch Anpassung im UV Bereich
An Rentieren konnte erstmals gezeigt werden, dass Licht im UV-Bereich erkannt wird (Hogg et al. 2011). Diese Hirsche des Nordens erweitern damit ihre Wahrnehmung in der winterlichen Umgebung, die stark von kurzwelligem Licht geprägt ist. Es wird angenommen, dass dieser Mechanismus eine bessere Umweltwahrnehmung ermöglicht und damit zur Identifikation von geeigneten und schmackhaften Nahrungspflanzen sowie im Sinne der Feindvermeidung steht – sie erkennen auf diese Weise Eisbären besser. Wie es ihnen dabei gelingt, mit der schädigenden UV-Strahlung umzugehen, ist bislang aber ungeklärt.
Konsequenzen für ihren Jagdbetrieb
Wissen darüber, wie unsere Wildtierarten äugen, ermöglicht wichtige Schlüsse für den praktischen Jagdbetrieb. Grundsätzlich bestimmen die Umwelt- und Lichtverhältnisse die optische Wahrnehmung eines Wildtieres. Die Arten haben sich im Laufe ihrer Evolution an die Anforderungen des jeweiligen Lebensraumes angepasst. Dazu gehört es, in den Aktivitätsphasen (Dämmerung und Nacht) das dominierende blaue Licht auszunutzen, sowie über eine möglichst gute Bewegungswahrnehmung zu verfügen.
Es muss ferner davon ausgegangen werden, dass Wild dabei auch Bereiche wahrnimmt, die für uns Menschen unsichtbar sind. Im Zusammenhang mit der Nutzung von Infrarotstrahlung bei der Jagd nimmt die Fachwelt derzeit an, dass der untere IR-Bereich vom Wild registriert wird. Erst ab einer Wellenlänge von 940 nm ist dieses Licht für die meisten Arten nicht mehr wahrnembar. Licht aus Geräten, die über diese Bereiche verfügen, dürfte damit tatsächlich unsichtbar sein. Der Nachteil ist, dass sich die Reichweite der Geräte bei größeren Wellenlängen verringert.
Jagdkleidung: Rot ist das neue Grün
Im Gegensatz zu der früheren Annahme, dass Rot eine Warnfarbe sei, konnten u.a. Untersuchungen an Damwild und Weißwedelhirschen bereits vor einigen Jahren dokumentieren, dass diese Lichtfarbe nicht gut wahrgenommen wird. Stattdessen findet sich das beste Sehen bei unserem Wild im Bereich des blauen Lichtes. Der Rot-Grün-Schwäche unseres Schalenwildarten sollte durch entsprechender Kleidung Rechnung getragen werden.
Der einfarbig grün gekleidete Jäger ist für sie in jedem Fall besser auszumachen, als ein Jäger in einem rotem Tarnmuster. Bei der Verwendung von Taschenlampen sind aus dem gleichen Grunde, jene mit Rotfilter zu bevorzugen. Diese sind weniger verräterisch, was jedoch nicht zu der Annahme verleiten sollte, dass dieses Licht vom Wild überhaupt nicht registriert wird.