Mittlerweile hat die bundesweite Strecke die 200.000er-Marke überschritten. Das Bundesamt für Naturschutz geht von einem Besatz von mindestens 1,3 Millionen aus. Die rasante Ausbreitung des Einwanderers und die Eroberung immer neuer Reviere heizen die Diskussion über die ökologischen Folgen auf heimische Arten immer wieder von Neuen an. Der Waschbär verfügt über Fähigkeiten, die es ihm ermöglichen, in Nahrungsnischen vorzudringen, die dem heimischen Raubwild nicht zugänglich sind. Die EU hat den Waschbär auf die Liste invasiver, gebietsfremder Arten aufgenommen, mit dem Ziel seine Ausbreitung einzudämmen.
Waschbärforscher behaupten, dass der Neubürger keine wesentliche Gefahr für die Natur und Artenvielfalt darstellt. Die Tiere ernähren sich vornehmlich von leichter Beute wie Regenwürmern, Insekten oder Obst. Natur- und Tierschutzverbände lehnen sogar ihre Bejagung ab. Völlig abstrus ihre Lösungsvorschläge, wie eine Kastration, den Einsatz einer Art Anti-Baby-Pille und die Aufnahme in Tierheimen und Auffangstationen. Immer mehr Jäger, Biologen und Ornithologen berichten über starke Rückgänge bei Wasservögeln, Höhlenbrütern oder Amphibien durch den Waschbär-Boom. Irren die sich alle? Das ist beileibe nicht der Fall, wie zahlreiche Studien belegen. Im Folgenden drei Beispiele.
Amphibien Skalpiert und gehäutet
Wissenschaftler der Goethe-Universität Frankfurt a. M. haben im Rahmen des bundesweiten Großprojektes ZOWIAC gravierende Auswirkungen des Waschbären auf Amphibien, wie die Erdkröte, nachgewiesen. Diese seien sogar bestandsbedrohend, warnt Projektkoordinator Norbert Peter. Das gelte ganz besonders für Regionen mit wenigen isolierten Laichgewässern und gleichzeitig hoher Waschbärdichte. Für bestimmte Amphibienlaichgewässer konnte nachgewiesen werden, dass Waschbären sich regelrecht auf diese Nahrungsquelle spezialisieren. Dabei nutzen sie geschickt ihre Vorderbranten und häuten die Erdkröten. Damit machen sie die Giftdrüsen unschädlich. Mit neuartigen DNA-Analysen des Mageninhalts gelang auch erstmals der Nachweis, dass der Waschbär die stark gefährdete und unter strengem Schutz stehende Gelbbauchunke als Nahrungsquelle regional nutzt.

Erstaunliche Einblicke in das Beuteverhalten der Waschbären gelangen Amphibienschützern des Vereins Naturschutzzentrum Ökowerk Berlin an Krötenzäunen im Berliner Grunewald. Sie fanden bei vielen getöteten Kröten, Fröschen und Molchen zerbissene und gehäutete Tiere. Die nachgewiesenen Fälle häuften sich im Umkreis der Fangeimer. Die Suche ergab vorwiegend Spuren von Waschbär, Dachs und Fuchs. Während der Fuchs den Zaun offenbar nur überwand, patrouillierten die anderen beiden Räuber ihn regelrecht auf und ab. Wildkamerabilder zeigten Waschbären beim Jagen, Häuten und Fressen von Erdkröten. Durch den Einsatz waschbärsicherer Fangeimer konnten die Verluste durch die Kleinbären an den Krötenzäunen gebremst werden. Dafür nahm die Anzahl toter Tiere an den Laichgewässern drastisch zu. Sie waren zweifelsfrei den Allesfressern zuzuordnen, da sich Reste der Amphibienmahlzeit auch in den flachen Gewässern fanden.

Auch die Sumpfschildkröte, eine weitere Amphibienart mit ihren letzten Vorkommen in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, leidet unter dem Beutegreiferdruck der Waschbären. Sie haben gelernt, Schildkrötenpanzer zu knacken, die Eiablageplätze aufzuspüren und die Gelege zu erbeuten, beurteilt das Brandenburger Landesamt für Umwelt die bedrohliche Situation.
Intensive Bejagung zahlt sich aus
Die AG Wildtierforschung der Professur Forstzoologie an der TU Dresden erforschte an den Lewitzer Teichen (1.700 ha) in Mecklenburg-Vorpommern den Einfluss von einheimischen und gebietsfremden Raubsäugern auf Wasservögel in diesem Naturschutzgebiet. Hintergrund der mehrjährigen Untersuchungen war der drastische Rückgang bei den Wasservögeln. Insgesamt wurden 314 Nester von Höckerschwan, Graugans, Stockente, Schnatterente, Reiherente, Haubentaucher, Zwergtaucher und Blässralle kontrolliert. Die festgestellten Prädationsraten der Gelege waren bei den Artengruppen unterschiedlich. Während die wehrhaften Höckerschwäne nur in Einzelfällen betroffen waren, lagen die durchschnittlichen Verluste bei den Entengelegen bei 94 Prozent. Im Klartext: Nur in sechs Prozent der Entennester schlüpften die Küken. Rund die Hälfte der Abgänge ging auf das Konto der Neozoen Mink, Waschbär und Marderhund. Ein Viertel der Prädationen erfolgte durch Krähen, Schwarzwild, Rohrweihen und Ratten. Einheimisches Raubwild wie Fuchs, Dachs, Steinmarder, Baummarder und Iltis spielten nur eine untergeordnete Rolle. Was sicherlich auch auf die Lage der kontrollierten Nester zurück zu führen ist, denn die meisten befanden sich auf Inseln innerhalb der Teiche, die ein ideales Habitat für das Neubürger-Trio sind.

Ein weiterer Forschungsteil ging der Frage nach, ob sich durch intensive Raubwildbejagung ein höherer Bruterfolg bei den Wasservögeln einstellen würde. Die Bilanz nach zweijähriger Bejagung war überzeugend: Die Verluste sanken bei den Entengelegen auf 43 Prozent und bei den Blässrallen auf 13 Prozent. Die Schlupfrate stieg entsprechend auf 57 Prozent bei den Enten und auf 87 Prozent bei den Blässrallen. Durch die Videoüberwachung von Nestern wurde keine einzige Gelegeplünderung durch Waschbär und Co. mehr dokumentiert. Die Ergebnisse machen deutlich: Ein Raubwildmanagement in einem begrenzten Gebiet mit jagdlichen Methoden führt zum Erfolg.
Als Nesträuber überführt
Im Rahmen der Überwachung der Brutbestände von in Höhlen brütenden Kleinvogelarten stellte die Staatliche Vogelschutzwarte Sachsen-Anhalt ab 2012 eine erhöhte Rate von ausgeraubten Nestern beim Trauerschnäpper fest, der häufigsten Art in den Nistkästen. Die Verlustquote betrug bis zu 26 Prozent. Spuren an den Nistkästen, wie herausgezerrtes Nistmaterial, am Einflug hängendes Gefieder, geöffnete Fronten und völlig verdrehte Drahtaufhängungen, stellten den Waschbär als Räuber unter Verdacht. Klarheit verschafften dann Aufnahmen von Wildkameras, die ihn als Nestplünderer überführten. Dem Kleinbär gelingt es mit seinen langen Vorderbranten mühelos, durch das Einflugloch zu greifen und die brütenden Weibchen zu erbeuten.

Wie Messungen zeigten, waren dabei Trauerschnäpperweibchen, die viel Nistmaterial eintrugen und damit beim Brüten näher am Einflug saßen, öfter Opfer als solche, die niedrigere Nester bauten und damit außerhalb der Greifweite des Waschbären brüteten. Die hohen Prädationsraten führten zu stark abfallenden Beständen des nicht ganz sperlingsgroßen Höhlenbrüters. In den folgenden Jahren nahmen die Verluste nochmals zu. Die Waschbären hatten gelernt, die Nistkästen auch herunterzuwerfen. Vielfach wurden sie verstreut in etlichen Metern Entfernung gefunden. So waren im Jahr 2018 von insgesamt 49 begonnenen Bruten nur 15 erfolgreich (31 %) und 31 vom Waschbär ausgeraubt (63 %). Im Folgejahr registrierte man von 44 Bruten sogar nur noch sechs als erfolgreich (14 %) und 34 (77 %) wurden geplündert. In zwölf Fällen lagen die Kästen am Boden. Als besonders folgenschwer erwies sich, dass nicht nur die Gelege verloren gingen, sondern vielfach die adulten Weibchen erbeutet wurden. Im Versuchsrevier in der Steckbyer Heide zählte man in 475 Kästen nur noch 57 begonnene Bruten. Versuche, die Verluste durch waschbärsichere Nistkastenmodelle zu mindern, erbrachten eine Trendwende. In der Saison 2020 flogen 96 Prozent aller Bruten aus.