Als bei uns im Dorf vor einigen Jahren der erste Marderhund erlegt wurde, war der Aufruhr groß. Rasend schnell sprach sich die Nachricht unter den Jägern rum. Jeder wollte das fremde Tier sehen. Der stolze Erleger ließ sich Enok sogar präparieren.
Heute würde der Marderhund (Nyctereutes procyonoides) in den meisten Regionen Deutschlands wohl keinen mehr hinter dem Ofen hervorlocken. Wenn auch nicht ganz so stark wie der Waschbär (Procyon lotor), konnte der Marderhund schon in vielen Teilen der Bundesrepublik heimisch werden. Nachdem die Staupe einige Jahre die Marderhund-Besätze kurzgehalten hatte, gehen die Abschusszahlen seit 2012 wieder steil nach oben. Auch beim Waschbär nehmen die Streckenzahlen stetig zu. Es scheint, die Ausbreitung der beiden Neubürger ist nicht mehr aufzuhalten.
Was sind Neozoen?
Waschbär und Marderhund gehören zu den Neozoen, den „Neu-Tieren“. Darunter versteht man Tierarten, die von Natur aus in Deutschland nicht vorkommen und erst durch den Einfluss der Menschen zu uns gekommen sind. Als „Stichtag“ für die Eingliederung unter Neozoen datieren einige Forscher das Jahr 1492, das Jahr der Entdeckung Amerikas und des sich dadurch extrem verstärkten transkontinentalen Handels. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts ist ein rasanter Anstieg der Erstnachweise von gebietsfremden Wirbeltierarten in Deutschland festzustellen.
In Deutschland kommen nach Expertenmeinungen zirka 1.149 Neozoenarten vor, von denen jedoch nur 264 Arten sich dauerhaft etablieren (ohne menschliches Zutun sich über mehrere Generationen erfolgreich vermehren) konnten. Viele der Neozoen und auch Neophyten passen sich in den neuen Lebensräumen unproblematisch an und besetzen ökologische Nischen, ohne sich negativ auf andere Arten auszuwirken.
Was bedeutet invasive Art?
Als invasiv werden die Neozoen bezeichnet, wenn sie sich entweder aggressiv ausbreiten, andere Arten einschränken, verdrängen oder sich negativ auf andere Lebensgemeinschaften oder Biotope auswirken. Neben Marderhund und Waschbär gelten noch zehn andere Tierarten in Deutschland als invasiv. Doch warum sind besonders die beiden kleinen Raubsäuger bei uns so erfolgreich?
Über den potentiellen Erfolg eines Neozoon gibt das „climate matching“ bereits im Vorfeld Aufschluss. Tiere aus klimatisch ähnlichen Gebieten haben ein größeres Potential, sich erfolgreich zu etablieren. In Deutschland trifft das vor allem auf Tiere aus Nordamerika und dem temperaten Asien zu. So stammt auch der Waschbär ursprünglich aus Nordamerika. Der Marderhund hat sein natürliches Verbreitungsgebiet in Sibirien, dem nordöstlichen China und Japan. Beide Tierarten wurden ursprünglich für die Pelzgewinnung in Europa eingeführt.
Welche Schäden machen Neozoen?
Waschbär und Marderhund sind opportunistische Nahrungsgeneralisten, also echte Allesfresser. Sie fressen das, was am häufigsten vorkommt. Geschickte Jäger sind sie dabei nicht. Vielmehr streifen sie als fleißige Sammler umher. Der Einfluss auf die Population möglicher Beutetiere wird als eher gering angesehen. Auch diverse Studien in verschiedenen europäischen Ländern konnten keinen Nachweis für die gezielte Gefährdung des Niederwildes erbringen.
Der negative Einfluss der beiden invasiven Arten tritt vielmehr zu Tage, wenn seltene Beutetiere an einem Ort in hoher Anzahl auftreten, wie es zum Beispiel bei koloniebrütenden Vögeln in bestimmten Jahreszeiten der Fall ist. In Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern gilt der Waschbär bei den dort noch beheimateten und äußerst seltenen Sumpfschildkröten als bedeutendster Fressfeind.
Eine Konkurrenz zu anderen Raubsäugern, wie Dachs und Fuchs, wird von Forschern diskutiert, aber als unwahrscheinlich eingestuft, sofern wichtige Beutegruppen wie Insekten, Regenwürmer oder Früchte unbegrenzt zur Verfügung stehen. Jedoch konnte beobachtet werden, dass Marderhunde junge Füchse und Füchse junge Marderhunde töten. Da Marderhunde ihre Jungen ständig bewachen, Fuchsfähen ihre Jungen aber durchaus alleine im Bau zurücklassen, könnte es dadurch potentiell zu einem Sinken der Fuchsbesätze kommen.
Invasive Arten in der EU
Aber nicht nur kleine Raubsäuger wie Waschbär und Marderhund werden mit Argwohn betrachtet. Die Europäische Kommission hat 2016 eine „Unionsliste“ veröffentlicht, auf der sie invasive Arten benennt, für die Mindeststandards zur besseren Vorbeugung und Früherkennung, zum Monitoring und Management gelten.
Nach Revision der Liste umfasst diese mittlerweile 49 Arten. So finden sich auch der Chinesische Muntjak, Bisam, Grauhörnchen, die Glanzkrähe sowie die Nilgans auf der Liste. Sie schafft eine Grundlage für konkretes Handeln, um eine weitere Ausbreitung einzudämmen. Damit einher gehen darüber hinaus Besitz- und Vermarktungsbeschränkungen.
Sikawild wurde nach Deutschland gebracht
Aber auch größere Neozoen streifen durch unsere Wälder. So ist das in einigen Bundesländern heimische Sikawild (Cervus nippon) ursprünglich ein Ostasiate. Die bunten Hirsche wurden 1860 nach Deutschland gebracht und gelangten um 1930 sowohl durch bewusste Gatteröffnungen als auch durch Kriegsschäden in die freie Wildbahn.
Nicht nur äußerlich ähnelt Sika dem Damwild, ebenso sind die beiden Arten von den Ansprüchen her vergleichbar. Stammesgeschichtlich ist Sikawild sehr nah mit unserem Rotwild (Cervus elaphus) verwandt und kann als eine Unterart des Rotwilds betrachtet werden. Das wird vor allem dadurch deutlich, dass eine Hybridisierung zwischen Sika- und Rotwild belegt und die Bildung fertiler Hybride möglich ist. Jedoch ist die Kreuzungsrate zwischen den beiden Arten niedrig.
Die Problematik der Neophyten
Was für Tiere und Insekten gilt, gilt auch in weit größerem Umfang für Pflanzen. Neue Pflanzen haben aus den unterschiedlichsten Gründen ihren Weg zu uns gefunden. Als Nutzpflanzen eingeführt, wie Mais und Kartoffel, im Forst auf der Suche nach klimastabilen Ergänzungen wie Douglasie und Robinie, oder auch als Heilpflanze wie bei der Kamille. Viele Pflanzen wurden als exotische Zier- und Gartenpflanzen eingeführt und haben hier ideale Bedingungen gefunden. Ein Beispiel hierfür ist das allgegenwärtige Drüsige Springkraut, auch bekannt als Indisches Springkraut.
Halten sich gebietsfremde Arten selbstständig über mehrere Generationen, gelten sie als etabliert. Mehr als 500 neue Arten sind so bereits hier angesiedelt. Das ist bei vielen Pflanzen nicht weiter problematisch, allerdings haben rund 10 % der neu etablierten Arten ein hohes Schadpotenzial: Durch z.B. besondere Robustheit oder schnelles Wachstum können sie heimische Pflanzen verdrängen und zum ökologischen Problem werden. Gerade in seltenen Biotopen können bedrohte Pflanzenarten verschwinden, mit ihnen auf diese Pflanzen spezialisierte Tier- und Insektenarten. Bei mindestens 43 Tierarten geht man von solchen neophytenbedingten Rückgängen aus. CL
Durch eine strenge Bejagung ist keine gravierende Zunahme der Bestände des Areals erkennbar. Das Sikawild besiedelt bevorzugt Standorte, die für andere Hirscharten kaum in Frage kommen. Auch eine Äsungskonkurrenz zu Rot-, Dam- oder Rehwild gibt es nicht. Aufgrund der Hybridisierung mit Rotwild führt das Bundesamt für Naturschutz den Sikahirsch dennoch auf seiner Handlungsliste als potentiell invasive Art. Das bedeutet, dass trotz des derzeit noch immer ungenügenden Wissenstandes lokale Maßnahmen bereits zu begründen sind.
Mehr Neozoen wegen des Klimawandels?
Künftig könnten noch mehr Neozoen ihren Platz in unserer Umwelt suchen und finden. Auf den voranschreitenden Klimawandel können gebietsfremde Arten, die häufig wärmeliebend sind, oftmals besser reagieren als unsere heimischen Arten. Es wird derzeit von Experten diskutiert, wie negativ diese Entwicklung zu sehen ist.
Es ist künftig festzulegen, ob die heutigen Vernetzungs- und Austauschprozesse (Schiffs-, Flugverkehr etc.) als natürlich anzusehen sind oder ob strikt eingegriffen werden muss, um geografisch differenzierte Lebensgemeinschaften langfristig zu erhalten. Einschleppung und Einwanderung finden schon seit Jahrtausenden statt. So haben sich in den letzten 200 Jahren mindestens 400 Neozoen in Mitteleuropa etabliert. Übrigens – auch unser „heimisches“ Wildkaninchen kam einst als Neozoon von der Iberischen Halbinsel zu uns.