Immer wieder ist davon zu lesen, dass Jäger mit einer Waffe bedroht werden. Aber: Was darf ich als Jäger im Ernstfall eigentlich, um mich zu wehren und welche Konsequenzen drohen mir?
Notwehr-, Nothilfs- und Notstandsrecht – in der Jägerausbildung Begriffe, die für Verwirrung sorgen. Leider. Denn bei den Rechtsbegriffen handelt es sich um wichtiges Handwerkszeug für die Zeit im Revier. Unser Experte Roberto G. Ruscica, der als Anwalt praktiziert und auch Jagdschüler ausbildet, führt Sie durch den juristischen Begriffsdschungel.
Wann ist mein Handeln strafbar?
Am Anfang steht die Frage, wann mein Handeln überhaupt strafbar ist. Dafür müssen die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen. Beispiel gefällig? Beim Totschlag nach § 212 StGB bedeutet das, dass der Täter einen anderen Menschen durch seine Handlung tötet. Außerdem muss der Täter den Vorsatz haben, die Tötungshandlung durchzuführen. Liegen diese Voraussetzungen vor, dann hat der Täter den Straftatbestand erfüllt. Eine ganz andere Frage ist jedoch, ob der vermeintliche Täter auch bestraft werden kann bzw. muss. Durch Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe kann der Täter im Hinblick auf seine Handlung gerechtfertigt oder entschuldigt sein – beispielsweise durch Notwehr.“
Notwehr und Nothilfe – was ist das eigentlich?
Nach der Legaldefinition in § 32 Abs. 2 StGB ist Notwehr die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich (= Notwehr) oder einem anderen (= Nothilfe) abzuwenden. Aber was verstehen wir Juristen unter gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff?
Recht, in handliche Happen zerlegt
Nach dem Bundesgerichtshof (= BGH) ist ein Angriff die von einem Menschen drohende Verletzung rechtlich geschützter Interessen. Der von einem Tier ausgehende „Angriff“ ist hierbei nicht ausreichend, es sei denn, dass der Angriff des Tieres, beispielsweise eines abgerichteten Hundes, vom Willen eines Menschen zur Verletzung eingesetzt wird. Gegenwärtig ist der Angriff, wenn die Rechtsgutsverletzung unmittelbar bevorsteht (BGH, Beschl. v. 15.11.1994 – 3 StR 393/94), gerade stattfindet oder noch fortdauert. Unmittelbar bevorstehend und damit bereits gegenwärtig ist nach ständiger Rechtsprechung des BGH ein Verhalten, das zwar noch kein Recht verletzt, aber unmittelbar in eine Verletzung umschlagen kann und deshalb ein Hinausschieben der Abwehrhandlung unter den gegebenen Umständen entweder deren Erfolg gefährden oder den Verteidiger zusätzlicher nicht mehr hinnehmbarer Risiken aussetzen würde (so auch BGH, Urt. v. 21.03.2017 – 1 StR 486/16).
Maßstab für die Beurteilung der Gegenwärtigkeit ist jedoch die objektive Sachlage, nicht die Befürchtungen des Angegriffenen (BGH, Urt. v. 21.03.2017 – 1 StR 486/16). Rechtswidrig ist der Angriff, wenn er im Widerspruch zur Rechtsordnung steht.
Angriff und Abwehr – so lange habe ich Zeit zum Handeln
Nun zu einem konkreten Beispiel: Wird ein Jäger durch einen mannscharfen Hund ohne Befehl des Hundeführers angriffen, dann liegt kein Angriff im Sinne des § 32 StGB vor. Befiehlt der Hundeführer den Angriff, dann liegt ein Angriff nach § 32 StGB vor. Der Angriff ist bereits dann gegenwärtig, wenn der Hund auf den Jäger in Verletzungsabsicht zustürmt. Der Angriff dauert an, solange der Hund sich festgebissen hat und nicht loslässt und ist beendet, wenn der Hund wieder zurückgerufen wird. Die Notwehrhandlung kann daher nur zwischen zustürmen und Rückruf erfolgen. Erschießt der Jäger den Hund, während er zum Hundeführer zurückläuft, dann liegt kein gegenwärtiger Angriff mehr vor. Der Jäger hat sich einer Sachbeschädigung (Tiere sind Sachen nach § 90a BGB) strafbar gemacht. Der Jäger kann sich nicht mehr auf eine etwaige Notwehrhandlung berufen.
Wie lange ist eigentlich „gegenwärtig“?
Ein anderes Beispiel: Schaut ein Jäger in den Gewehrlauf eines Wilderers, dann kann ein Schuss ins Bein des Wilderers durch Notwehr gerechtfertigt sein, da der rechtswidrige Angriff gegenwärtig war. Flüchtet der Wilderer hingegen, wie im Fall in Hessen, dann ist der Angriff beendet. Pirscht sich der Jäger dann nach gewissen Zeit an den wiedergefundenen Wilderer heran und schießt ihn ins Bein, dann ist diese Handlung nicht mehr gerechtfertigt. Hier könnten die aufmerksamen Leser jedoch einwenden, dass der Wilderer ja noch im Wald unterwegs ist und daher die Gefahr weiterhin besteht. Dies ist aber nicht so. Eine sog. Dauergefahr, bei der ein länger andauernder gefahrdrohender Zustand jederzeit in einen Schaden umschlagen kann, stellt keinen gegenwärtigen Angriff im Sinne der Notwehrvorschrift dar. In Betracht kommt in solchen Fällen (Paradebeispiel zur Dauergefahr ist der gewalttätige Ehepartner, der im Schlaf getötet wird) ein entschuldigender Notstand nach § 35 StGB (BGH, Urteil vom 25. 3. 2003 - 1 StR 483/02).
Rechtlich richtig verteidigen: So geht‘s!
Nun zur Verteidigungshandlung. Zunächst muss die Notwehrhandlung den Angriff abwehren. Der Handelnde kann sich auf eine rein defensive Abwehr des Angriffs (sog. Schutzwehr) beschränken, aber auch den Angriff in Form eines Gegenangriffs (sog. Trutzwehr) übergehen. „Weglaufen“ stellt keine Verteidigung dar und wird deshalb grundsätzlich vom Notwehrhandelnden nicht erwartet (BGH, Urteil vom 12.02.2003 – 1 StR 403/02). Die Verteidigungshandlung muss sich gegen den Angreifer und dessen Rechtsgüter richten (BGH, Urt. v. 25.06.2010 - 2 StR 454/09). Die Verteidigungshandlung muss außerdem zur Abwehr des Angriffs objektiv erforderlich sein (BGH, Beschluss vom 22.6.2016, Az.: 5 StR 138/16). Wann ist aber die Verteidigungshandlung objektiv erforderlich?
So muss meine Verteidigung aussehen
Erforderlich ist die Verteidigung, die für eine sofortige Beendigung (oder auch nur Abschwächung) des Angriffs geeignet ist (BGH, Urt. v. 24.07.1979 – 1 StR 249/79) BGH NJW 1980, 2263; NStZ 1998, 508) und dem relativ mildesten Mittel entspricht (BGH, Beschl. v. 22.06.2016 – 5 StR 138/16). Bezüglich des Mittels ist jedoch klarzustellen: Gibt es nur eine einzige geeignete Abwehrhandlung, dann ist diese immer erforderlich, da die Notwehr keine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter kennt (Stichwort: Das Recht muss dem Unrecht nicht weichen). Gibt es dagegen mehrere, ebenso geeignete Möglichkeiten den Angriff abzuwehren, dann muss dasjenige eingesetzt werden, dass für den Angreifer das Gefahrloseste ist. Hierzu ein paar Beispiele: Habe ich als Verteidigungsmittel einen Stock und ein Jagdmesser und beide sind für die Abwehr des Angriffs gleich effektiv, dann muss ich als relativ mildestes Mittel den Stock und nicht das Messer nutzen. Es gilt also: Nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen.
Notwehr und der Waffengebrauch
Aber: Wenn ich nun nur meine Waffe dabei habe? Laut BGH ist der Gebrauch der Waffe nur das letzte Mittel der Verteidigung. In der Regel ist der Angegriffene gehalten…
- den Gebrauch der Waffe zunächst anzudrohen,
- die Waffe weniger gefährlich einzusetzen, wie beispielsweise ungezielte Warnschüsse oder, wenn diese nicht ausreichen, Schüsse in die Beine, um den Angreifer kampfunfähig zu machen (BGH, Beschl. v. 21.07.2015 – 3 StR 84/15) und schlussendlich
- als letztes Mittel der Verteidigung einen lebensgefährlichen oder gezielter tödlicher Schuss abzugeben.
Notwehr: Dann kann ein tödlicher Schuss gerechtfertigt sein
Aber auch in diesem Fall ist der Grundsatz zu beachten, dass wenn die Androhung oder ein weniger gefährlicher Waffeneinsatz, aus welchen Gründen auch immer, nicht (mehr) in Betracht kommt, auch ein sofortiger gezielter tödlicher Schutz durch Notwehr gerechtfertigt sein kann. Auf einen Kampf mit ungewissem Ausgang muss sich der Notwehrhandelnde nicht einlassen (BGH, Urt. v. 12.02.2003 – 1 StR 403/02).
Wolfsangriff und eine Keilerattacke – und jetzt?
Und wenn mich Tiere angreifen? Hier müssen wir genau sein. Denn: Es gibt Unterschiede zwischen einem Angriff auf den Menschen und einem Angriff auf ein Tier – etwa meinen Jagdhund. Zuerst ist zu prüfen, ob überhaupt eine Notwehrlage vorliegt. Schnell ist klar: Der Basse ist rechtlich eine Sache, der kein Mensch befohlen hat, mich anzugehen. Heißt rechtlich: Wir bewegen uns in den Notstandsregelungen nach §228 BGB oder den nachrangigen §34 StGB.
Vorliegen einer Notstandslage
Nach § 228 Satz 1 BGB handelt nicht widerrechtlich, wer eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, um eine durch sie drohende Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, wenn die Beschädigung oder die Zerstörung zur Abwendung der Gefahr erforderlich ist und der Schaden nicht außer Verhältnis zu der Gefahr steht. Die Vorschrift wird auch für Wild angewendet. Unter einer drohenden Gefahr gemäß § 228 BGB ist ein Zustand zu verstehen, der aus einer objektiven Ausgangssituation (sog. ex ante Sicht) den Eintritt eines Schadens nicht nur als möglich, sondern als naheliegend erscheinen lässt (VG Würzburg Urt. v. 27.6.2022 – W 9 K 21.1392). Die bloße Möglichkeit eines Schadenseintritts genügt hingegen nicht. Bei der Beurteilung der Ausgangssituation ist darauf abzustellen, was für den Handelnden vor dem Handeln erkennbar war.
Das Leben des Keilers versus das Menschenleben
Nach §34 handelt man nicht rechtswidrig, wenn man in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr eine Tat begeht, um eine Gefahr von sich oder anderen abzuwenden. Das gilt aber nur, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen (mein Leben versus das des Keilers), das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Als Gefahr im Sinne des Paragraphen wird eine Situation angeführt, bei der es nach den Umständen wahrscheinlich ist, dass es zu einem schädlichen Ereignis kommt.
Notstand beim angreifenden Keiler oder Wolf
Nun zum praktischen Fall: Schaut mich ein Schwarzkittel fokussiert an, schnaubt laut und klappert mit dem Gewaff, dann heißt es, Beine in die Hand nehmen. Ebenso bei Isegrim, der mich anstarrt, dem Wasser im Fang zusammenläuft und wahrlich keine Anstalten macht zurückzuweichen. Haben wir so eine Situation, dann liegt eine klassische Notstandslage vor, da mein geschütztes Rechtsgut – Leben und Gesundheit – gefährdet ist und ein Schadenseintritt jederzeit möglich und wahrscheinlich ist.
Darf ich auf Wölfe schießen?
Dürfen wir also den Schwarzkittel oder den Wolf in so einer solchen Notstandslage töten? Es kommt drauf an: Wir müssen, wie oben beschrieben, abwägen, ob die Beschädigung oder die Zerstörung zur Abwendung der Gefahr erforderlich ist und der Schaden nicht außer Verhältnis zu der Gefahr steht. Im Ergebnis eine klassische Interessenabwägung.
„Mensch gegen Sache“ – Mensch hat immer Vorrang!
Bei mir und allen Mitjägern fällt die Antwort schnell und eindeutig. Das menschliche Leben steht bei einer solchen Interessenabwägung immer an oberster Stelle. Steht Ihnen eine Rotte oder ein Rudel Wölfe gegenüber und die machen, trotz eines etwaigen Warnschusses, keinen Anstand zurückzuweichen, dann „Feuer frei“!
Interessenabwägung: „Sache gegen Sache“
Bei Nutztieren oder unseren treuen Jagdhunden kann die Interessenabwägung (leider) etwas anders aussehen. Nutztiere, Jagdhunde und alle Wildtiere sind nach dem Gesetz (herrenlose) Sachen. Daher muss einerseits zwischen dem Eigentumsrecht des Tierhalters und einem etwaigen gesetzlich festgelegten Schutzstatus des Wildtieres (beispielsweise bei Wolf, Luchs und Bär die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie) abgewogen werden.
Wann gibt es Wildschweinbraten und was ist mit Isegrim?
Im Allgemeinen gilt, dass falls das angreifende Wildtier nicht besonders geschützt ist, grundsätzlich das Eigentumsrecht vorgeht. Oder anders gesagt, greift in der Schonzeit die Bache meinen Jagdhund an, dann gibt es am Wochenende Wildschweinbraten. Anders ist es beim Wolf. Isegrim ist gesetzlich streng geschützt. Das muss so akzeptiert werden. Das Ergebnis der Abwägung zwischen streng geschützten Tieren und wirtschaftlicher Wert eines Schafs oder einer Milchkuh ist eindeutig. Der Schutzstatus gewinnt.
Ändert sich bald die Rechtssprechung?
Die Abwägung zwischen streng geschützten Tieren und unseren Hunden könnte jedoch anders ausfallen, denn es darf nicht allein darum gehen, dass ein Hund – einen geringeren Sachwert hat als eine streng geschützte Tierart. Mit zu berücksichtigen ist auch die emotionale Beziehung zu dem Tier (vgl. hierzu OLG Koblenz, Urt. v. 14.07.1988 – 5 U 115/88; LG Heilbronn, Urt. v. 25.10.2006 – 5 O 100/06 Wa (Tötung eines Steinadlers zum Schutz eines Teckels)). Darf ich mich also mit meinem Gewehr schützend vor meinen Hund stellen? Kann ich Ihnen eine klare und rechtssichere Handlungsempfehlung geben? Leider nein. Es haben zwar schon zwei Gerichte die Notstandslage eines Jägers bejaht (wir berichteten), aber nun steht noch die Entscheidung des Brandenburgisches Oberlandesgerichts aus, um (teilweise) Rechtsicherheit zu schaffen.
Wolf attackiert Hund: So würde unser Experte handeln
Interessiert Sie aber meine persönliche Einschätzung? Dann sag ich Ihnen, dass für mich die Tötung eines unter Artenschutz stehende Tier gerechtfertigt ist, wenn dieses Tier meinen Jagdhund als Beute ansieht und ich mich damit in einer Notstandssituation befinde. Um den Artenschutz Genüge zu tun, würde ich wahrscheinlich die oben beschriebenen drei Stufen des BGH anwenden. Schlussendlich wäre ich aber immer bereit, einen tödlichen Schuss anzubringen. Denn dies bin ich sowohl mir als auch meinen treuen Jagdbegleiter mehr als schuldig!