Bald erblickt die neue Fuchsgeneration das Licht der Welt. Während die Welpen in den ersten beiden Lebenswochen noch weitestgehend inaktiv sind, beginnen sie im Alter von drei Wochen deutlich lebendiger zu werden. Im Alter von einem Monat erscheinen sie dann vor dem Bau. In dieser Zeit beginnen auch die ersten Auseinandersetzungen zwischen den Geschwistern. Auch wenn diese spielerisch auf uns wirken, haben sie einen ernsten Hintergrund: Die Welpen bereiten sich damit auf ihr späteres Leben vor und fechten ihre Position im Familienverband aus. Innerhalb kurzer Zeit hat sich unter ihnen eine feste Rangordnung ausgebildet. Körperliche Stärke, aber auch Charakter spielen dabei eine Rolle. Welpen, die in der Rangfolge unten stehen, haben es oft sehr schwer, da sie den ständigen Attacken ihrer Geschwister ausgesetzt sind. Diese können derart heftig sein, dass größere Wunden entstehen. Durch eigene Studien an Wurfbauten vermute ich, dass ein Teil der Welpen sogar daran verendet. Denn das noch kaum ausgebildete Immunsystem hat den in die Wunden eindringenden Keimen wenig entgegenzusetzen – Infektionen haben leichtes Spiel. Von den 100 gewölften Jungfüchsen überleben etwa 20 die ersten vier Lebenswochen nicht.
Im Laufe der Zeit entfernen sich die Welpen immer weiter vom Bau. Ihre kurzen Streifzüge führen sie Ende Mai schon bis zu 100 Meter vom Bau weg. In einer Untersuchung von Stiebling (2000) wurden mitwachsende Halsbandsender verwendet, um die Entwicklung junger Füchse zu erforschen. Bei diesen Untersuchungen zeigte sich, dass sich die Streifgebietsgröße der Welpen im Juni bereits auf etwa 45 Hektar vergrößert hat. Im Alter von einem halben Jahr nutzen sie etwa 100 Hektar. Von unseren 100 Welpen leben zu diesem Zeitpunkt nur noch 65.
Fruchtbare Füchse
Reineke ist ein wahrer Vermehrungskünstler: Noch im selben Lebensjahr nehmen die Welpen an der Ranz teil. Nach 52 Tagen wölfen die Fähen vier bis sechs Welpen.
Die Heranwachsenden haben im September nahezu die Größe erwachsener Füchse erreicht und es beginnt für sie die Zeit des Abwanderns. Die Kontaktraten unter den Geschwistern lassen nun deutlich nach, die Hierarchien bleiben aber bestehen. Oft sind die „Prügelknaben“ der ersten Lebenswochen auch jetzt noch am Ende der Rangordnung. Bei verhaltensbiologischen Untersuchungen konnte in diesem Zusammenhang festgestellt werden, dass sie bei innerartlichen Kontakten deutlich seltener von Fellpflege profitieren als weiter oben stehende Verbandsmitglieder. Nicht selten sind sie auch zu diesem Zeitpunkt noch den Aggressionen der anderen Rudelmitglieder ausgesetzt, was wiederum zu einer erhöhten Bereitschaft zur Abwanderung führt.
Zum Nomadentum gezwungen
Wie das Abwanderungsverhalten im Verband gesteuert wird, hat man in letzter Zeit in größeren Fuchsverbänden untersucht. Jene können aus bis zu zehn adulten Stücken und den Welpen bestehen. Solche Fuchsrudel sind typisch für urbane Lebensräume, können aber auch auf dem Lande vorkommen. In der Stadt verlassen etwa 20 Prozent der Rüden und 50 Prozent der Fähen ihren Geburtsort nicht (Harris & Baker 2009), sondern schließen sich ihren Eltern an. Das hat den Vorteil, dass sie sich weiterhin in vertrauten Arealen aufhalten können. Allerdings bleibt man damit auch unter elterlicher Kontrolle. So dürfen untergeordnete Füchse in der Regel auch nur Teile des elterlichen Territoriums nutzen.
In einigen dieser Fuchsrudel reproduzieren teilweise mehrere Fähen, in einigen Fällen sogar im gleichen Bau. Dennoch herrscht auch unter solchen Umständen eine strenge Rangordnung, die wiederum das Abwanderungsverhalten wesentlich beeinflusst. Denn welche Welpen aus diesen gemeinschaftlichen Territorien abwandern, wird nach einer neueren britischen Untersuchung maßgebend durch die dominante Fähe des Rudels beeinflusst (Whiteside et a. 2011).

Strenges Mutter-Regiment
Sie sorgt dafür, dass ihre männlichen Nachkommen das Rudel verlassen müssen, wohingegen der eigene weibliche Nachwuchs weiterhin geduldet wird. Bei den Welpen der untergeordneten Fähen liegen die Verhältnisse genau umgekehrt. So vermeidet die dominante Fähe sehr effektiv Inzucht innerhalb des Verbands und erhöht die Chance, dass eine ihrer Töchter (und damit ein sehr eng verwandtes Tier) das Revier erbt. Auch in diesem Punkt zeigen Fuchsfähen offenbar Sinn für Familie.
Auf Wanderschaft So weit laufen Füchse: Diese Faktoren sind ausschlaggebend
Wie weit Füchse wandern, ist im Wesentlichen von zwei Faktoren abhängig: deren Sterblichkeit und der Territoriumsgröße. Ist erstere hoch, führt dies meist zu geringen Abwanderungsentfernungen. Und je größer das Streifgebiet ist, desto größer ist auch die Abwanderungsdistanz.
Rüden wandern Entfernungen, die dem vier- bis sechsfachem Durchmesser eines durchschnittlichen Territoriums entsprechen (Macdonnald 1990). So haben Füchse aus Städten üblicherweise eher kleine Streifgebiete (unter 50 Hektar). Deren Wanderdistanzen liegen entsprechend bei durchschnittlich nur drei Kilometern. In kargen ausgeräumten Landschaften mit 1.000 Hektar großen Territorien, wandern sie dafür 30 Kilometer und mehr. Besonders deutlich wird dieses Phänomen bei Füchsen, die an der Grenze zwischen zwei Habitattypen mit unterschiedlichen Kapazitäten leben. Während diejenigen Welpen, die in den nahrungsreicheren Bereich abwandern, eher kurze Distanzen überbrücken, gehen die in den nahrungsarmen Teil Abwandernden eher lange Wege.
Etwa zwei Drittel der Rotröcke verlässt seinen Geburtsort nicht weiter als fünf Kilometer. Rüden zeigen dabei die größere Laufbereitschaft. Sie wandern nicht nur weiter, sondern auch früher ab. Doch auch Fähen können beachtliche Distanzen überwinden. Eine solche konnte anhand eines senderüberwachten Stückes dokumentiert werden. Diese Fähe zog es im Dezember aus dem elterlichen Gebiet weg. Sie unternahm innerhalb von fünf Tagen eine insgesamt 120 Kilometer lange Wanderung. Ihr Revier gefunden hat sie letztlich zwölf Kilometer von ihrem Geburtsort entfernt (Fiederer 2018). Die größte jemals dokumentierte Fuchswanderung unternahm übrigens ein Rüde, der unglaubliche 478 Kilometer zog (Gosselink et al. 2010).
Offenland-Füchse mit rauen Sitten
Bei Offenland-Füchsen reißt der Kontakt zwischen den Geschwistern im Winter komplett ab (Stiebling 2000). Das Erreichen der Geschlechtsreife hat sie nun zu Konkurrenten gemacht. Im ausgehenden Winter wird den letzten verbliebenen Jungfüchsen von elterlicher Seite klargemacht, dass sie nicht weiter gewünscht sind. Grundsätzlich gilt, dass je geringer die Nahrungsverfügbarkeit eines Lebensraumes ist, desto größer der Druck wird, den die adulten Füchse auf ihren Nachwuchs ausüben. Ist sehr viel Fraß vorhanden, werden die Nachkommen länger geduldet. Im Gegensatz zur Stadt müssen im Offenland deshalb fast alle heranwachsenden Füchse die elterlichen Territorien verlassen.
Wie sich der Abwanderungsprozess vollzieht, ist von Fuchs zu Fuchs sehr unterschiedlich. Ein Teil der Welpen bricht plötzlich in die Ferne auf, ohne dass sie jemals wieder in die Heimat zurückkehren. Ein anderer Teil macht vor der Abwanderung einige Exkursionen in verschiedene Richtungen. Wahrscheinlich prüfen sie die Umgebung auf freie Reviere und kehren dabei jedoch zunächst immer wieder zurück. Einige Abwanderungswillige pendeln förmlich zwischen Gebieten, ehe sie eines Tages nicht mehr in das heimische Gebiet zurückkehren. Abwanderungsprozesse dauern im Schnitt etwas mehr als einen Monat. Dabei lassen sich jedoch je nach Typ sehr unterschiedliche Zeiten feststellen. Die Spanne reicht von zwei bis 114 Tagen (Gosselink et al. 2010).
Im auf die Geburt folgenden Frühjahr sind von unseren 100 Ausgangsfüchsen durchschnittlich 35 übrig geblieben. Etwa ein Viertel von ihnen hat zu diesem Zeitpunkt noch kein eigenes Streifgebiet und ist weiter auf Wanderschaft. Wie viel Dynamik in diesen Prozessen steckt, verdeutlicht die Tatsache, dass es nach dem Tod eines territorialen Fuchses nur etwa zwei Wochen dauert, bis das frei gewordene Revier durch einen anderen Fuchs neu besetzt wir
Füchse werden selten älter als zwei Jahre
Das Leben dieser revierlosen sogenannten Floater ist überaus schwer, denn Füchse leben streng territorial. Auch wenn man sich unter den Nachbarn akzeptiert und die Grenzen anerkennt, ist man schonungslos gegenüber eindringenden fremden Füchsen. Schätzungen gehen davon aus, dass sieben Prozent aller Füchse durch Angriffe von Artgenossen ums Leben kommen. Jagd, Straßenverkehr und Krankheiten sind Faktoren, die zu weiteren Verlusten führen. Nur acht Tiere unserer fiktiven Ausgangsgeneration erleben ihren dritten Geburtstag. Auch wenn die Sterberate bei den adulten Füchsen deutlich sinkt, werden von den 100 Welpen nur zwei Füchse am Ende fünf Jahre. Statistisch gesehen, erreicht keiner unserer Welpen dieses Alter. Der namhafte Raubwildforscher Prof. Michael Stubbe errechnete einst, dass unter 1.000 Füchsen nur vier das Alter von zehn Jahren erreichen.
