Früher Jagdbeginn: Welche Auswirkungen hat das auf Wild?

Es spricht wildbiologisch wenig gegen einen frühen Beginn der Jagd, solange es richtig gemacht wird und auch wieder Ruhe im Revier einkehrt. Wildbiologe Dr. Konstantin Börner kommentiert die Zusammenhänge.
Kaum beginnt die Jagd, erhöht sich auch die „Störreichweite“ – die Distanz, ab der Wild flüchtet – erheblich.
Kaum beginnt die Jagd, erhöht sich auch die „Störreichweite“ – die Distanz, ab der Wild flüchtet – erheblich.

Untersuchungen beim Rehwild zeigen, dass sich die Störreichweite mit Beginn der Jagdzeit in etwa verdoppelt. Dabei handelt es sich um die Distanz, bei der Wildtiere im Falle einer Störung ihr aktuelles Verhalten zu Gunsten von Sichern und ggf. auch Flucht unterbrechen. Diese Störreichweite verändert sich aber auch bei anderen Arten mit dem Beginn der Rehjagd. Das bedeutet, dass diese Wildtierarten reagieren, auch wenn sie selber nicht die bejagte Spezies sind. Beim Schwarzwild ist bekannt, dass die Jagd auf anderes Schalenwild nachweislich wahrgenommen wird. Die Sauen reagieren in der Regel unmittelbar, indem sie ihren Aktivitätsbereich verringern (Thurfjell et al. 2013). Dadurch, so interpretieren die Forscher dieses Verhalten, reduziert sich die Wahrscheinlichkeit, selber entdeckt und erlegt zu werden.

Volle Deckung: Sauen reagieren auf Schüsse, indem sie ihren Bewegungsradius einschränken. So reduzieren sie die Wahrscheinlichkeit entdeckt zu werden.
Volle Deckung: Sauen reagieren auf Schüsse, indem sie ihren Bewegungsradius einschränken. So reduzieren sie die Wahrscheinlichkeit entdeckt zu werden.

Rotwild reagiert mit weiten Fluchten

Auch Rotwild reagiert Studien zufolge empfindlich auf Abschussereignisse. Es sind Beispiele an besenderten Stücken bekannt, die nach Schüssen oder in der Nähe erfolgten Erlegungen weite Fluchten unternahmen. In einem Fall flüchtete ein Alttier auf einen 900 Meter weit entfernten Abschuss wieder in seinen Wintereinstand und verblieb dort für mehrere Wochen. Die beschriebene Reaktion kann aber natürlich nicht generalisiert werden. Denn andere Stücke können ganz anders reagieren. Es zeigt aber auch, welchen Einfluss Jagd indirekt ausüben kann.

Feindvermeidung versus Äsung

Natürlich bezieht sich dies nicht nur auf den Abschuss, denn Wildtiere reagieren auch auf die schiere Anwesenheit eines Jägers und weichen bei entsprechenden Störungen aus. In der Wissenschaft hat sich diesbezüglich seit einiger Zeit der Begriff „landscape of fear“ bzw. „hunting for fear“ herausgebildet, wonach Wildtiere durch jagdliche (aber auch andere) Stressoren von bestimmten Flächen ihrer Lebensräume ferngehalten werden. Generell ergibt sich für alle Lebewesen der ständige Konflikt zwischen der Feindvermeidung und dem Zwang, Nahrung aufnehmen zu müssen. Wildtiere werden sich dabei fast immer zu Gunsten der Feindvermeidung entscheiden. Sie hungern also lieber, als dass sie sich bewusst einer Gefahr aussetzen.

Bei hohem Druck zieht es Wild vor, im Bestand zu bleiben und lieber zu hungern, als sich Gefahr auszusetzen.
Bei hohem Druck zieht es Wild vor, im Bestand zu bleiben und lieber zu hungern, als sich Gefahr auszusetzen.

Frühe Jagd, aber auch frühe Ruhe einhalten

Die sehr lange Jagdzeit auf Rehwild erreicht bereits jetzt tierschutzrelevante Grenzen, und so leitet sich mit Blick auf die Belange des Rehs die wildbiologische Forderung ab, die Jagd auf diese Art zur Jahreswende zu beenden und in der Summe auf ein halbes Jahr zu begrenzen. Das bedeutet, wer die Frühjahrsjagd nutzen möchte, muss im Anschluss daran auch über eine Phase des Jagdverzichts nachdenken. Des Weiteren wichtig ist, dass in den Jagdphasen auch effektiv gejagt wird. Das bedeutet, dass beim Rehwild möglichst beide Geschlechter entnommen werden.

Allein die Anwesenheit von uns Jägern reicht oft aus, um für Unruhe und Störung im Revier zu sorgen.
Allein die Anwesenheit von uns Jägern reicht oft aus, um für Unruhe und Störung im Revier zu sorgen.

Stören, aber Strecke machen ist die Devise

Es ist beispielsweise also nicht zweckmäßig bei den Jährlingen darauf zu warten, dass sie gefegt haben. Gleichzeitig sollte auch das Schmalwild anderer vorkommender Wildtierarten entnommen werden. Denn das Kredo muss heißen, wenn schon gestört wird, muss auch Strecke gemacht werden. Dies ist im Interesse des verbleibenden Bestandes, denn die Gesamtbelastung reduziert sich dadurch. Vom Rehwild ist bekannt, dass sich bei sehr hohen Besätzen die Allgemeinverfassung verschlechtert. Werden hier früh Stücke entnommen, haben die anderen Tiere eine gute Ausgangslage für die Entwicklung das Jahr über.

Um die frühe Jagd effizient zu nutzen, darf auch nicht davor zurückgeschreckt werden, auch einmal einen Jährling im Bast zu erlegen.
Um die frühe Jagd effizient zu nutzen, darf auch nicht davor zurückgeschreckt werden, auch einmal einen Jährling im Bast zu erlegen.

Keine Dauerbelagerung des Wildes

Grundsätzlich ermöglichen die langen Jagdzeiten in Deutschland, flexibel zu sein und den erforderlichen Anteil zu entnehmen. Wobei selbstverständlich auch die Belange des Wildes Berücksichtigung finden müssen. Wildbiologisch wichtig ist, dass kein „Dauerbelagerungszustand“ entsteht. Wer es mit der Regulierung ernst nimmt, sollte auch mit Intervalljagd in der Lage sein, seine Abschussfestlegungen zu realisieren. Eine immer weitere Ausdehnung der Jagdzeit wird indes keinen Beitrag zur Lösung der Verbissproblematik leisten können. Und ganz wichtig: Auch bei der Jagd im Frühjahr ist das saubere Ansprechen obersters Gebot. Schmalrehe lassen sich im April und Mai meist noch sehr gut ansprechen.

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