Da gehört die Kugel hin: Haltepunkt beim Schalenwild

Die Kenntnis des korrekten Haltepunkts ist eine wesentliche Voraussetzung, um beim Schuss auf Schalenwild Tierleid auszuschließen.
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15. September 2023
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Rehbock-mit-Ricke-vor-Sonnenblumen
Neben dem Treffersitz ist bei der Schusskalkuklation auch die Hinterlandgefährdung zu beachten.

Während der Jagdausbildung lernt der Anwärter, den Büchsenschuss auf Schalenwild mittig im Bereich der Kammer zu platzieren. Später im Revier kommt es jedoch immer wieder zu Situationen, wo das Wild eben nicht wie am Schießstand scheibenbreit steht. Zudem fordern gegebenenfalls besondere Umstände, dass das beschossene Stück Wild in der Nähe des Anschusses zum Liegen kommen muss. Um im entscheidenden Augenblick den richtigen Haltepunkt für den sofort tödlichen Treffer zu setzen, sollte der Schalenwildjäger ausreichende Kenntnisse in der Anatomie des Wildkörpers besitzen.

Die „10“ – lediglich ein Lungentreffer

Bei den DJV-Wildscheiben liegt der höchstdotierte Trefferring „10“ etwa eine Hand breit hinter dem anatomischen Blatt und durchschlägt lediglich die Lungenflügel. Dieser Schuss ist in den allermeisten Fällen tödlich, doch liegt das Wild meistens nicht am Platz. Es gibt genug Beispiele aus der jagdlichen Praxis, wo das Wild in diesen Situationen entweder verloren geht oder erst nach schwierigen Nachsuchen gefunden wird, sodass es nicht mehr verwertbar ist. Dabei muss es sich nicht einmal um starkes oder sehr hartes Wild handeln. Geschilderter Fall kann schon bei einem Reh, das mit einem zu harten Geschoss beschossen wurde, eintreten.

Bock-scheibenbreit
Scheibenbreit: Mit dem Schuss so lange warten, bis das Stück das Haupt erhoben hat. Besonders bei starkem Wild überdehnt sich die Decke, wenn das Stück äst. In der Flucht nach dem Schuss schiebt sich die Decke über den Ein- und Ausschuss und gibt keine optischen Pirschzeichen.

Wer aber aus der jagdlichen Situation heraus – Dunkelheit/ kein Nachsuchenhund erreichbar/ Reviergrenze/ gefährliches Gelände/ Straßennähe/ Auslandsjagd – darauf angewiesen ist, dass sich das Stück nicht mehr vom Anschuss entfernt, muss den Haltepunkt auf der vorderen Blattschaufel suchen. Das geht selbst bei modernen Geschosskonstruktionen nicht ohne Wildbretverlust. Der wesentliche Vorteil liegt aber in der augenblicklichen Tötungswirkung, die wir geschoss- und laborierungsbedingt eben nur durch den härteren Widerstand beim Auftreffen auf die dichten Muskelpartien und die knöcherne Blattschaufel oder den Oberarmknochen erzielen. Das Geschoss gibt hierbei nicht nur deutlich mehr Energie in den Wildkörper ab, sondern vergrößert je nach Konstruktion durch Aufpilzen, Deformieren oder Zerlegung den Schusskanal – einhergehend mit einer messbar höheren Zerstörung von Gewebe, Nervenbahnen, Herz und Herzkranzgefäßen.

Zustehendes Wild

Steht das Wild vor der Schussabgabe auf den Schützen zu, haben wir die ganze Bandbreite von leicht schräg bis halbspitz zu berücksichtigen. Der korrigierte Haltepunkt muss nun entsprechend der Stellung des Wildes vom Blattvorderrand bis fast zum Stich wandern, um einen möglichst langen Weg und eine Maximalwirkung des Geschosses durch die Kammer erzielen zu können. Vorsicht ist geboten bei starken Stücken. Leichte und hochrasante Geschosse könnten am harten Vorderlaufknochen zerspritzen und keine ausreichende Tiefenwirkung zeigen oder sogar durch den steilen Auftreffwinkel vom Knochen ab- und aus der Kammer herausgelenkt werden. Wandert der Haltepunkt hingegen auf oder gar hinter das Blatt, ergeben sich unweigerlich „weiche“ Schüsse.

Zustehende-Sau
Ein passendes Stück Schwarzwild wechselt an.

Gefahr von Paketschüssen

Beim Schuss auf ein Stück Wild, das in einem Rudel- oder Rottenverband steht, muss immer in Erwägung gezogen werden, dass im Hintergrund – nicht nur in direkter Linie, sondern auch seitlich – stehende Stücke durch unkontrolliert aus dem Wildkörper austretende Splitter oder Geschossfahnen – vom Jäger oft unbemerkt – verletzt werden können.

Damwildrudel
Steht im Wild im Verband, ist besondere Vorsicht geboten.

Schüsse spitz von hinten

Es gibt absolut keine Rechtfertigung für den „amerikanischen Blattschuss“ auf gesundes Wild. Müht sich hingegen das bereits mit einem schlechten Schuss verletzte Wild auf und zieht ausnahmslos spitz vom Jäger weg, muss er im Sinne des Tierschutzes eingreifen und dem Stück eine zweite Kugel antragen. Ein massiver Beckentreffer aus dieser Position heraus zertrümmert nicht nur den Bewegungsapparat, sondern führt je nach Kaliber auch zur Lähmung des hinteren zentralen Nervensystems. Das Stück geht schlagartig zu Boden und kann einen letzten tödlichen Fangschuss angetragen bekommen, sollte es nicht bereits jetzt verendet zusammenbrechen.

Rehbock-spitz-von-hinten
Für "spitz von hinten" gilt: nur unter besonderen Umständen!

Auf den Träger

Wird der Wildkörper infolge von Hindernissen in der Flugbahn des Geschosses stark verdeckt, kann in Ausnahmesituationen der mittige Schuss auf den Träger auf nahe Entfernung und bei stabiler Auflage möglich sein. Beim Rehwild wird ein sofort tödlicher Treffer sicher gelingen, wenn der Schuss mittig angetragen wird. Nach Möglichkeit sollte der Träger direkt von vorn oder hinten beschossen werden, um die Wirbelsäule zu treffen. Grundsätzlich muss der Jäger bei der Stellung des Wildes den Austritt des Restgeschosses im Blickfeld haben. Groß ist die Gefahr, dass es im Hintergrund in den Rücken- oder Keulenbereich eindringen kann. Höhenabweichungen infolge der geringen Entfernung spielen beim frontalen Schuss keine Rolle.

Trägerschuss
Auf den Träger sollte nur in Ausnahmesituationen geschossen werden.

Seitlich auf den Träger hingegen kann er genau aus diesem Grund bereits zu einem Drosselschuss führen. Bei allem anderen Schalenwild steigt die Gefahr mit zunehmender Stärke des Trägers, die Wirbelsäule zu verfehlen und schwere Wildbretschüsse zu produzieren. Schüsse auf das Haupt finden bei gesundem Wild keinerlei Rechtfertigung, sondern müssen allenfalls dem Fangschuss im Ausnahmefall auf kurze Distanz vorbehalten bleiben. Zu hoch ist das Risiko, üble Schüsse durch Äser, Gebrech oder die Nackenmuskulatur zu verursachen, insbesondere wenn das Haupt seitlich beschossen wird.

Hindernisse in der Geschossflugbahn

Grundsätzlich soll das zu beschießende Stück Wild durch nichts verdeckt sein. Zu leicht könnten insbesondere hochrasante Teilzerlegungsgeschosse auf kleinste Ästchen, Getreideähren oder Blätter ansprechen und zerspritzen. In der Folge wird das Geschoss unkontrolliert abgelenkt und verfehlt sein Ziel oder zerlegt sich im Vorfeld und verletzt das Wild durch einzelne Splitter. Nachsuchen gestalten sich extrem schwierig, und nicht selten verendet das Wild erst nach langer Zeit. Weit geringer ist diese Gefahr bei robusten, schweren Geschosskonstruktionen (z.B. 9,3 mm TMR), wenn sich weiche Hindernisse wie Grashalme oder Blätter zudem direkt vor dem Wildkörper befinden.

Geschossflugbahn-Hinderniss
Kleinste Hindernisse wie Äste können die Flugbahn des Geschosses signifikant ablenken.

Steilschüsse

Im bergigen Gelände kommen mitunter Situationen vor, wo das Wild mehr oder weniger steil unter oder über dem Jäger steht. Beachtet er das im Eifer des Gefechts nicht, führen die Schüsse mit einem nicht korrigierten Haltepunkt meist als Streifschüsse aus dem Stück heraus, ohne die lebenswichtigen Organe nennenswert zu verletzen. Ähnlich verhält es sich mit Schüssen von sehr hohen Ansitzeinrichtungen auf nahe stehendes Wild.

Steilschuss
Berg rauf, Berg runter – halt' drunter!

Fast spitz von vorn

Hinter dem Stich laufen bei allen Schalenwildarten wichtige Hauptschlagadern und Hauptnervenbahnen gebündelt zusammen. Ein Schuss dorthin führt zu einem sofortigen Verenden – wäre da nicht die berechtigte Furcht, aufgrund der Tiefenwirkung des Geschosses den Verdauungsapparat massiv zu verletzen und das Wildbret zu riskieren. Zwar bietet der Stich deutlich mehr Trefferbereich als der frontale Schuss auf den schmalen Träger, doch besteht auch hier ein deutliches Risiko, seitlich aus dem tödlichen Bereich auszubrechen und Wildbretschüsse außen am Vorderlauf oder im Achselbereich zu verursachen.

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Nicht immer kommt das Wild scheibenbreit.

Nahschüsse

Steht das Wild sehr nah vor dem (viel zu hohen) Hochsitz, wie es aufgrund der Lichtverhältnisse leider bei vielen Schwarzwildkirrungen der Fall ist, muss unbedingt der je nach Waffe fünf bis acht Zentimeter betragende Abstand zwischen Visierlinie und Geschossflugbahn berücksichtigt werden (dies gilt insbesondere für kombinierte Waffen mit untem liegenden Kugellauf und großem Zielfernrohr-Objektivdurchmesser). Beide ballistischen Größen treffen erst bei etwa 50 Metern aufeinander. Vorher trennt sie der konstruktionsbedingte Abstand zwischen Zielfernrohr und Lauf. Ohne Korrektur des Haltepunkts erfolgt ein Tiefschuss, der zu hohen Vorderlaufschüssen oder bei probierten Tellerschüssen zu Treffern im Drosselbereich oder Gebrech führt.

Bock-nahe
Nur weil das Stück nahe steht, heißt es nicht, dass man automatisch trifft.

Schüsse auf fortziehendes Wild

Steht das Wild vom Schützen weg, sind – je nach Stellungswinkel – Korrekturen des Haltepunkts vom hinteren Blattrand bis zur letzten Rippe nötig. Steht das Stück nur leicht schräg, erzielt man eigenen Beobachtungen zufolge eine optimale Geschosswirkung. Ändert sich hingegen die Stellung des Wildes in einen noch spitzeren Winkel zum Schützen, ist auch bei dem anvisierten Kammerschuss äußerste Konzentration und Präzision gefragt.

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Bei wegziehendem Wild ist die Chance nicht immer vertan.

Treffen wir diagonal die Kammer, fällt das Stück ohne großen Wildbretverlust im Knall. Kommen wir zu weit hinten ab, gelingt zwar eine Nachsuche, aber wir verlieren wesentliche Teile des Stücks durch den Keulen-weidwund-Treffer. Ziehen wir den Schuss hingegen zu weit nach vorne, schießen wir unweigerlich aus dem Stück heraus und fügen ihm lediglich eine Wildbretverletzung zu, die in einer langwierigen Nachsuche mit mehr oder weniger guten Erfolgsaussichten endet.

Die „Schwedische Elchuhr“

Die Grafik der „Schwedischen Elchuhr“ des Schwedischen Jägerbundes zeigt den tödlichen Bereich der Kammer mit den lebenswichtigen Organen bei allen unterschiedlichen Schusswinkeln sehr anschaulich. Ausgehend von der optimalen Stellung mit größtmöglicher Trefferfläche breit zum Schützen muss dieser bei dem sich von ihm abwendenden Stück je nach Winkel das Absehen unter Umständen bis auf die letzten Rippen setzen, um per diagonalem Geschossweg durch die Kammer möglichst viel Lunge, Herz und Blutgefäße zu treffen. Dreht sich das Stück hingegen zum Schützen, muss der umgekehrt verfahren und mit dem Haltepunkt vors Blatt in Richtung Stich wandern.

Besser durch die Blattschaufeln

Insbesondere das abrupte Abreißen der Hauptblutbahnen führt zum sofortigen Kollaps der Sauerstoffzufuhr zum Gehirn, zur plötzlichen Ohnmacht und einem raschen Verenden des Stückes durch den schlagartigen Blutverlust. Beim besonders schussharten Schwarzwild senkt sich zudem im oberen Bereich der Blattschaufel die Wirbelsäule tiefer ab als bei den Wildwiederkäuern und wird bei diesem Haltepunkt durchschlagen oder zumindest angerissen. Alles in allem führt der Schuss durch das oder sogar beide Blätter aufgrund der hohen Energieabgabe und Durchschlagskraft des Restgeschosses zu einem schlagartigen Blutverlust, Einfallen der Lungenflügel und Schockwirkung auf das Nervensystem, ggf. einhergehend mit der schweren Zerstörung beider Laufknochen. Dieser Haltepunkt toleriert sogar ein fehlerhaftes Abkommen im Zentimeter-Bereich, irrt sich der Schütze in der Entfernung, der Stellung des Wildes oder aufgrund leichten Jagdfiebers. Selbst wenn das Wild nun nicht augenblicklich an den Platz gebannt wird, ist es sicher bei der Nachsuche mit einem brauchbaren Hund zu finden.

Neben dem Schuss durch die Blattschaufel kann der Jäger eine ebensolche blitzartige Tötung des Wildes durch Schüsse ins zentrale Nervensystem erreichen. Dabei handelt es sich ausnahmslos um Treffer ins Gehirn oder die vordere Wirbelsäule im Bereich des Trägers. Beide Schüsse erfordern aber eine hohe Präzision seitens des Jägers. Immerhin gilt es, je nach Wildart Ziele exakt zu treffen, die sich in der Größe zwischen Golf- und Tennisball bewegen. Das ist nur mit präziser Waffentechnik, fester Dreipunktauflage und angepasster Entfernung realisierbar.

Hasardschüsse mit tragischen Folgen

Groß hingegen ist die Wahrscheinlichkeit, durch menschliches Fehlverhalten (Jagdfieber/ Zielfehler/ Mucken) oder durch unvorhersehbare Bewegungen des Wildes (Kopfschütteln/ Kopfheben/ Drehung) zu patzen! Da in diesen Fällen wirklich nur der präzise Punktschuss die erhoffte Wirkung zeigt, erlauben die Haltepunkte auch keinerlei Toleranzen, sondern führen im günstigen Fall zu klaren Fehlschüssen. Leider überwiegt aber die Wahrscheinlichkeit des Krankschießens und beschwört übelste Verletzungen in Form von Krell-, Gebrech-, Äser- oder Drosselschüssen, die nur allzu oft auch mit dem Nachsuchenhund nicht zum Erfolg führen. Aus diesem Grund sollten Schüsse auf das Haupt oder den Träger die absolute Ausnahme bleiben und nur im Fall von Fangschüssen im Nahbereich in Erwägung gezogen werden.

Für den noch unerfahrenen Jäger ist es umso wichtiger, sich umfassend mit der Anatomie des Schalenwildes auseinanderzusetzen. Dabei wird er feststellen, dass es durchaus entscheidende Unterschiede zwischen dem Schwarzwild und den wiederkäuenden Schalenwildarten hinsichtlich Lage der Organe und der Wirbelsäule, aber auch der anzunehmenden optischen Silhouette gibt. Damit der schon beschriebene „Blattschuss“ in den meisten Situationen, die dem Jäger manchmal nur für kurze Augenblicke eine Chance bieten, umgesetzt werden kann, muss dieser eine klare, dreidimensionale Vorstellung vom Aufbau des Wildkörpers, insbesondere über die Lage der lebenswichtigen Organe, erlangen. Bei Steilschüssen rauf oder runter sowie Nahschüssen von hohen Ansitzeinrichtungen ist eine Korrektur des Haltepunkts ebenfalls nach oben oder unten vorzunehmen, um auch hier den optimalen Schuss durch die lebenswichtigen Organe der Kammer zu verwirklichen. Vergisst der Jäger aus Jagdfieber oder Unkenntnis diese absolut notwendige Haltepunkt-Anpassung, führt das unweigerlich zum Krankschießen und teils zu schwierigen Nachsuchen.

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