Sollten Jagd- und Schonzeiten auf dem Prüfstand stehen?

Jagd- und Schonzeiten sind immer wieder Teil jagdrechtlicher Veränderungen. Doch warum sollten sie auf dem Prüfstand stehen?
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24. Februar 2023
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Ökologisch ist zum Modewort unserer Zeit geworden. Selbst manche Formen der Jagd werden als ökologisch bezeichnet. Tatsächlich ökologisch – also im wahrsten Sinne des Wortes – jagen allerdings nur die Beutegreifer. Der Wolf kennt keine Schonzeit und keinen Schutz der zur Aufzucht notwendigen Elterntiere. Er jagt auch dann, wenn Anatomie und Physiologie der Beute auf Energiesparbetrieb im Winter eingestellt sind. Prädatoren jagen und fressen ganz im Sinne von Ökologie stets die am einfachsten zu bekommende Beute, ohne auf das Rücksicht zu nehmen, was wir heute im weitesten Sinne unter Waidgerechtigkeit verstehen. Diese Art der Jagd ist erbarmungslos, obgleich sie vollkommen natürlich ist.Als Menschen sollten wir uns jedoch vom Wolf unterscheiden, zumal unsere Jagd eben nicht mehr ausschließlich dem Stillen des Hungers dient. Bereits im vergangenen Jahrhundert wurden daher auch Bedürfnisse des Wildes stärker berücksichtigt und in Gesetzen fixiert. „Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen“, heißt es heute in § 1 des Tierschutzgesetzes. Letztlich sind so verschiedene Kriterien entwickelt worden, die als jagdliche Normen von großer Bedeutung sind. Schonzeiten wurden eingeführt, zu denen die Jagd ruht. Auswahlkriterien wurden etabliert, welche Individuen einer Wildart wann erlegt werden können.

Schonzeit: Woran sollte sie sich orientieren?

Woran sollen sich aber Jagd- und Schonzeiten orientieren? Die Jagd muss heute die Biologie der jeweiligen Wildart, den Zustand der Bestände und auch eine gewisse Fairness dem Wild gegenüber berücksichtigen. Fairness wird allerdings je nach jagdlichem Interesse sehr unterschiedlich interpretiert. Männliche Stücke werden nach alter Tradition gerne während der Fortpflanzungszeit bejagt. Aber kommen wir nicht in argumentative Schwierigkeiten, wenn wir einerseits Fairness walten lassen wollen, andererseits aber liebestolle Hirsche und Rehböcke erlegen? Denkt man an den notwendigen genetischen Austausch zwischen isolierten Rotwildvorkommen, dann sollte zumindest die Erlegung von wandernden Brunfthirschen eigentlich tabu sein.

Geweihentwicklung oft noch Maßstab für Jagd- und Schonzeiten

Jagdzeiten männlicher Cerviden orientieren sich oft auch heute noch an der Geweihentwicklung. Die Freigabe von Rehböcken bis Ende Dezember, also bis in eine Zeit, in der sie bereits abgeworfen haben und schon wieder schieben, ist aus rein wildbiologischer Sicht nicht zu beanstanden. Vielleicht wird nun endlich jedem Jäger klar, wie wenig die Trophäe als alleiniges Abschusskriterium taugt. Der Jagdbeginn auf Rehwild bereits im April ist jedoch meiner Meinung nach abzulehnen. Er wird mit der hohen Aktivität des Wildes im zeitigen Frühjahr begründet, was die Bejagung so einfach mache. Das Wild versucht in der beginnenden Vegetationsperiode seine winterbedingten Reserveverluste vor allem auf Freiflächen im Wald oder in der Feldflur aufzufüllen. Werden die Stücke durch zeitige Bejagung dort vergrämt, müssen sie ihren Hunger an anderer Stelle, meist in und an der Waldvegetation, stillen. Wildschäden werden dadurch geradezu provoziert.

Der Muttertierschutz ist nicht diskutabel

In der Zeit der Geburt und der Aufzucht von Jungen ruht die Jagd auf die Elterntiere der betreffenden Wildart. § 22 Abs. 4 des Bundesjagdgesetzes regelt diesen Sachverhalt unabhängig von Jagd- und Schonzeiten. Die Kenntnis von Brut- und Aufzuchtzeiten der Wildarten ist demnach unabdingbar, um dieser ethisch motivierten Gesetzesvorschrift nachzukommen. Um Elternschutz, der ja eigentlich auf den Schutz der Nachkommen zielt, an einem Beispiel zu präzisieren, sei auf die Jagdzeit weiblichen Rotwildes verwiesen. Für Alttiere und Kälber beginnt die Jagdzeit in den meisten Bundesländern bereits am 1. August. Zu dieser Zeit führen die allermeisten Alttiere ein Kalb, das nicht nur wegen der Laktation von der Mutter abhängig ist. Die Mutter-Kind-Bindung ist auch in sozialer Hinsicht beim Rotwild besonders eng und langanhaltend. Führende Alttiere dürfen also zu keiner (!) Zeit vor dem Kalb erlegt werden. Verwaiste Kälber leiden enorm, kümmern zeitlebens oder verenden bereits in ihrem ersten Winter. Die Jagdzeit ab 1. August ist nur dann sinnvoll, wenn sie zum frühen Erlegen von Kälbern und möglichst für Kalb-Alttier-Dubletten genutzt wird. Beim Kahlwild kann so schon deutlich vor der Brunft eingegriffen werden. Die Kahlwildbejagung wird leider oft vernachlässigt, weshalb manche Rotwildbestände und deren Geschlechterverhältnis aus dem Ruder gelaufen sind.

Schwarzwild ist gerade im Zeichen der ASP ein weiteres Beispiel für den praktischen Umgang mit Muttertierschutz. Im Leben einer Bache gibt es heutzutage eigentlich keinen Tag mehr, an dem sie nicht führt oder beschlagen ist oder beides. Frischlinge werden etwa bis zu einem Alter von drei bis vier Monaten gesäugt. Nicht lange danach verlieren sie ihre Streifung. Ab jetzt sind sie nicht mehr unbedingt auf ihre eigene Mutter angewiesen, da sie im Falle deren Todes von der Rotte weiter geführt werden. Aber auch wenn die Frischlinge ein Mindestgewicht von etwa 20 kg lebend haben und nicht mehr gestreift sind, erlegt man die Bache nicht, wenn sie mit ihren Frischlingen alleine kommt. Lediglich aus einer größeren Rotte mit mehreren Bachen kann eine Bache geschossen werden, wenn alle Frischlinge der Rotte Mindeststandard haben. Das ist der große Unterschied zum Rotwild. Man ist beim Schwarzwild jedoch immer auf der richtigen Seite, wenn man erst Frischlinge und dann evtl. die Bache erlegt.

Sind keine gestreiften Frischlinge in der Rotte und mehrere Bachen vorhanden, spricht nichts gegen die Erlegung einer Beibache. Ist jedoch nur ein adultes Stück in der Rotte, muss der Finger gerade bleiben!
Sind keine gestreiften Frischlinge in der Rotte und mehrere Bachen vorhanden, spricht nichts gegen die Erlegung einer Beibache. Ist jedoch nur ein adultes Stück in der Rotte, muss der Finger gerade bleiben!

Die Sache mit der Winterruhe

Manche Tiere schränken im Winter, also bei Nahrungsknappheit, Kälte und Schnee, ihre Aktivität stark ein, um Energie zu sparen. Zu diesen Arten gehört bei uns auch das Rotwild. Eine derartige Winterruhe muss im Sinne von Waidgerechtigkeit selbstverständlich jagdliche Konsequenzen haben. Dabei muss man berücksichtigen, dass unabhängig von der Witterung auf Energiesparmodus umgeschaltet wird. Entscheidend ist die Tageslänge. Wenn eine kritische Beleuchtungsdauer pro Tag unterschritten wird, werden die anatomischen und physiologischen „Umbaumaßnahmen“ in Gang gesetzt, auch wenn es weder Kälte noch Schnee gibt. Die winterlichen Umstellungen beginnen etwa zur Wintersonnenwende, also kurz vor Weihnachten. Wild darf nach unseren Grundsätzen der Waidgerechtigkeit in der Winterruhe nicht bejagt werden. Zumindest Bewegungsjagden auf wiederkäuendes Schalenwild dürfen also aus Tierschutzgründen nach dem 31. Dezember nicht mehr durchgeführt werden. Leider sprechen sich jedoch auch solche gar nicht mehr so neue Forschungsergebnisse, die unter dem Gesichtspunkt der Waidgerechtigkeit für die Jagdpraxis erhebliche Konsequenzen haben, nicht ausreichend schnell in der Jägerschaft herum oder werden bewusst ignoriert. Dies lässt sich am Beispiel Rotwild sehr deutlich zeigen.

Im Winter reduziert Rotwild seine Bewegungsaktivität deutlich. Der Äsungsbedarf kann dabei von durchschnittlich sieben kg pro Tag im Sommer auf vier kg im Winter sinken. Die Pulsfrequenz ist geringer als im Sommer. Herz, Leber und Nieren sind deutlich verkleinert. Das Pansenvolumen ist 40% geringer als im Sommer. Gliedmaßen und äußere Körperschichten werden wesentlich weniger durchblutet. Die Körpertemperatur kann in Ruhe bis auf 22°C absinken. Rotwild in dieser Situation zu bejagen, entspricht nicht den Grundsätzen der Waidgerechtigkeit. Zudem steigt der Energieumsatz des Wildes, wenn es durch Jagd oder andere Umstände beunruhigt wird. Das Wild muss dann mehr Äsung aufnehmen, als wenn es ungestört ruhen könnte. Entsprechend steigen Wildschäden z. B. durch Winterschäle. Wenn man immer wieder hört, Rotwild müsse wegen der hohen Wildschäden auch im Januar scharf bejagt werden, dann stellt sich schon die Frage, ob die Befürworter der Januarjagd wildbiologisch und jagdethisch auf der Höhe der Zeit sind. Sie sollten sich die Frage stellen, ob nicht gerade die unzeitgemäße Bejagung die beklagten Schäden fördert. Ähnliches gilt auch für Rehwild.

Unser Umgang mit Wild sollte sich also deutlich von der ökologischen Jagd der Beutegreifer unterscheiden. In diesem Sinne muss überprüft werden, ob unsere Jagdzeiten jagdethischen und wildbiologischen Maßstäben genügen. Humanität, Wildbiologie und Jagdethik müssen ständig neu in Einklang gebracht werden.

Prof. Dr. Hans-Dieter Pfannenstiel
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24. Februar 2023
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