Die Fütterung von Rehwild wurde in den vergangenen Jahren viel diskutiert, hinterfragt sowie teilweise auch rechtlich neu geregelt. Wenn in Diskussionen rund um die Notwendigkeit der Fütterung von Wildtieren Beispiele wie Graubünden oder Nationalparke angeführt werden, wo Wildtiere nicht gefüttert werden, so sollte mitbedacht sein, dass nicht nur Lebensräume und Witterungsbedingungen im Winter miteinander verglichen werden müssen, sondern auch Anteile von „Ruhezonen“.
Und solche ruhigen Rückzugsgebiete von entsprechender Größe gibt es in Mitteleuropa leider immer weniger, womit der natürliche Sparmechanismus der Wildwiederkäuer im Winter nicht mehr gewährleistet ist. Dessen ungeachtet ist es aus wildbiologischer Sicht aber auch nicht möglich, eine absolute Notwendigkeit der Rehwildfütterung zu postulieren.
Ein weiteres Argument in unserer Kulturlandschaft ist auch, dass mit Fütterungsmaßnahmen Wildtiere „gelenkt“ werden können, um z.B. Straßenfallwild zu minimieren oder Wild von schadensanfälligen Flächen wegzulocken.
Die Wildfütterung kann verloren gegangenen Winterlebensraum teilweise ersetzen und damit den extremen Unterschied zwischen dem Äsungsangebot im Sommer- und Winterlebensraum in der intensiv genutzten Kulturlandschaft verringern. Der einfache Schluss – ich muss füttern, damit ich keine Schäden habe – funktioniert allerdings nicht immer.
Macht die Rehwildfütterung überhaupt Sinn?
Laien werden davon ausgehen, dass eine Fütterung vor allem in schneereichen Bergregionen zu rechtfertigen sei. Und dass in klimatisch günstigen Tieflagen die Winterfütterung am ehesten entbehrlich sein dürfte. Wenn jedoch die Verbissschadens-Reduktion im Vordergrund steht, ist die Sache genau umgekehrt!
In den milderen Lebensräumen mit landwirtschaftlich intensiv genutzten Flächen wurde die „Schere“ zwischen sommerlichem und winterlichem Nahrungsangebot massiv geöffnet. Während der Vegetationszeit gibt es einen reich gedeckten Tisch – mit hohen Zuwachsraten bei den Rehen. Unmittelbar nach der Ernte herrschen massive Nahrungsengpässe. Dadurch kommt es in den verbliebenen Waldinseln zu einem enormen saisonalen Anstieg der Wilddichte. Unter solchen Bedingungen lässt sich mit Fütterung eine erhebliche Verbiss-Entlastung erzielen, wenn gleichzeitig für Deckungs- und Äsungsmöglichkeiten außerhalb des Waldes gesorgt wird.
Andererseits gibt es in schneereichen Gebirgslebensräumen Gebiete, in denen auf eine Winterfütterung schon aus Waldschutz-Gründen verzichtet werden sollte. Das sind karge, langsam wüchsige Standorte, die ein erheblicher Teil des Rehwildes von Natur aus im Herbst verlässt. Geht man davon aus, dass in Bergmischwäldern vor dem Austreiben der Gräser und Kräuter der Laubholzanteil im Rehwildpansen mit rund 15 Prozent anzusetzen ist, ergibt das bei einem Tagesbedarf von rund 1,4 kg Frischsubstanz rund 210 g Laubgehölze. Sind nur rund 10 Prozent davon Leittriebe, ergibt das 21 g Leittriebe. Ein durchschnittlicher Laubholztrieb von 5 cm Länge hat ein Gewicht von rund 1 g. Daraus errechnet sich, dass pro Tag 21 Leittriebe im Pansen landen werden, und das über mehrere Wochen. Das wird zum Ausbleiben der Verjüngung oder zu einer Baumarten-Entmischung führen.
Der Pansen als Gärkammer
Das Vormagensystem der Wiederkäuer kann man sich wie eine Gärkammer vorstellen. Diese fasst beim Rehwild 1,6 bis 2,5 Liter. Der Panseninhalt ist ein lebendes Medium, das eine Vielzahl von mikroskopisch kleinen Lebewesen beherbergt. Pansenbakterien und Einzeller schließen Pflanzen auf, die für andere Tierarten nicht verdaulich sind und liefern später selbst wertvolle Nährstoffe. Die Pansenflora/ -fauna ändert sich in Abhängigkeit von der aufgenommenen Nahrung (Äsung/ Futter). Kippt das Milieu des Pansensaftes, entsteht ein lebensbedrohlicher Zustand.
Neben dem Tagesrhythmus der Äsungsaufnahme gibt es einen Jahresrhythmus des Energiebedarfs. Von Oktober bis Dezember besteht ein erhöhter Nahrungsbedarf (Feistbildung). Ab Mitte Dezember bis Mitte Februar geht die Äsungsaufnahme zurück. Im Hochwinter sollten daher die Energiedichte und der Eiweißgehalt des Futters reduziert werden, um Verdauungsstörungen zu vermeiden.
Der richtige Standort einer Fütterung
- Ruhe und Einstand in Fütterungsnähe.
- Fütterungen dürfen nicht in dunkle Dickungen gebaut werden. Besser ist Alt- oder Stangenholz
- Fütterungen sollten nicht in der Nähe von verbissgefährdeten Aufforstungen stehen. Zumindest darf an solchen Standorten im Winter kein Salz vorgelegt werden. Salz erhöht den Wasserbedarf und erhöht den Verbissdruck erheblich.
- Am Fütterungsstandort ist Platz für mehrere Vorlagemöglichkeiten in ausreichenden Abständen notwendig, damit auch schwächeres Wild Futter aufnehmen kann.
- Trockener Boden: An feuchten Standorten treten nach kurzer Zeit hygienische Probleme auf.
- An sonnigen, windgeschützten Plätzen fühlt sich das Wild wohler.
- Es ist verdauungsphysiologisch gut, wenn in der Nähe auch Beiäsung (wie Brombeer-, Himbeer-, Heidelbeerflächen, Ebereschen) verfügbar ist.
- Fütterungen müssen auch in Wintern mit extremer Schneelage erreichbar sein.
Rehwildfutter der Zukunft
Eigene Erfahrungen haben gezeigt, dass die gemeinsame Vorlage von Heu mit Kraftfutter sehr gut in einer Totalen Mischration (TMR) funktioniert, bei der unter das Kraftfutter (30 bis 50 Prozent) geschnittenes, gutes Klee- oder Luzerneheu (20 bis 40 Prozent) in einer Länge von 2 bis 4 cm gemischt wird. Ergänzt wird das ganz noch mit etwa 20 Prozent getrocknetem Apfeltrester.
Damit wird vermieden, dass wie bei einer separaten Futtermittelvorlage nur Kraftfutter aufgenommen wird. Die geforderte Faserlänge von 2 bis 4 cm rührt daher, dass „Rohfaser“ beim Wiederkäuer nur dann strukturwirksam oder wiederkäuergerecht ist, wenn Pflanzenfasern von mindestens 1 cm vorliegen, die auch im Wiederkaubissen mit aufgewürgt und wiedergekäut werden können.

Die häufigsten Fehler
- Überversorgung mit Eiweiß und Energie (Die Folge: Pansenübersäuerung, Leber- und Nierenkrankheiten)
- Unregelmäßiges Füttern (Hunger, Verbissdruck)
- Abrupte Futterwechsel (Schädigungen der Pansenflora)
- Verdorbenes Futter (Pansenfäulnis, Durchfall)
- Fütterungshygienische Mängel (Infektionsgefahr)
- Verpilztes/ verschimmeltes Futter (Leberschäden, Abortus, Lungenabszesse)
Da nach wie vor akute und chronische Pansenübersäuerungen zu den häufigsten Krankheits- und Fallwildursachen zählen, soll über eine Steigerung der Wiederkäuergerechtigkeit in der Rehwildfütterung diesen Auswirkungen entgegengewirkt werden.
Rehe in milden Lagen und bei keiner oder nur geringer Schneedecke sowie beiäsungsreicheren Winterlebensräumen können mehr natürliche Beiäsung aufnehmen als in schneereichen, rauen und vielfach fichtendominierten höheren Lagen. Wenn Rehe die Möglichkeit haben, mehr Beiäsung aufzunehmen, kann das Futter auch eine höhere Eiweiß- und Energiedichte (z.B. höherer Pellets- oder Getreideanteil) aufweisen, muss aber unbedingt auch strukturwirksame Rohfaser beinhalten.
Der Nährstoffbedarf schwankt
Der Nährstoffbedarf von Rehwild ist während der Fütterungsperiode nicht gleichbleibend, sondern er verändert sich recht stark. Dem physiologischen Bedürfnis von Wildtieren kommt man deshalb mit einer Phasenfütterung am nächsten.
Dabei sind die drei Phasen Spätherbst (ca. 3 Wochen vor dem ersten Schneefall) bis Winter-Sonnenwende (21. Dezember), Winter-Sonnenwende bis Tag-Nachtgleiche (19. bis 21. März) und die dritte Phase ab der Tag-Nachtgleiche im Frühjahr zu unterscheiden. Diese Einteilung ist nicht zufällig, sondern sie stellt einen Einklang zwischen den sich ändernden Lichtverhältnissen und dem damit zusammenhängenden, hormonell gesteuerten Stoffwechsel, der letztlich auch den Bedarf bestimmt, dar.
Zu Beginn der Fütterungsperiode ist aufgrund eines erhöhten Bedarfs eine energiereichere Versorgung zum Aufbau der wichtigen Feistdepots anzustreben. In der 2. Phase soll die Versorgung vorwiegend über Grundfuttermittel (= höherer Luzerne- bzw. Kleeheuanteil in der TMR) abgedeckt werden, wodurch auf die natürliche Drosselung des Stoffwechsels der Wildtiere reagiert wird. In der 3. Phase sollte sich die vorgelegte Ration wieder der Zusammensetzung nähern, wie sie in der 1. Phase bestanden hat.
Das Fazit: Rehe müssen nicht unbedingt gefüttert werden. Wenn man sich dazu entscheidet, dann muss eine Fütterung art- und wiederkäuergerecht, zeitlich richtig, mit heimischen Futtermitteln bester Qualität und durchgehend stattfinden. Ansonsten sollte man es – im Interesse des Wildes – besser lassen!