Zu sagen, es beginnt alles mit einem Tropfen Schweiß, wäre zu kurz gedacht. Für viele beginnt es mit dem drohenden oder schon entstandenen Wildschaden. Der Mais wird von den Sauen über Nacht zur Schadfläche degradiert. Kommen dann Borstentiere in Anblick, nutzt der Jäger jede Chance. Nicht verwunderlich, dass während der Milchreife bei Schweißhundführer Heiko Wessendorf das Telefon nicht still steht. Meistens ist es schon dunkel, wenn sich die bedröppelten Schützen melden. Oft rufen sie aber auch erst am Morgen an, weil mit dem eigenen Vierbeiner bereits nachgeschaut wurde, ob die Sau nicht doch in der dritten Maisreihe liegt. Erst, wenn der geschnallte Terrier die Sau aus dem Wundbett hochgemacht hat, sie aber nicht stellen konnte, erfolgt der Anruf beim Profi.
Heute klingelt das Telefon ausnahmsweise kurz vor dem Mittag. Ein Bekannter hat beim Maisdrücken einen Überläufer beschossen, der wieder ins Feld geflüchtet sei. Die Hunde, die drin waren, hätten noch mal Standlaut gegeben, dann sei eine große Rotte aus dem Mais gebrochen. Ob die beschossene Sau noch drinstecke, könne keiner sagen.
Anschuss an der Maiskante
„Nach dem Schuss sollen mindestens vier Stunden vergehen, bevor die Nachsuche begonnen wird, damit die Sau krank werden kann und sich stellt“, erklärt Stadtförster Heiko Wessendorf am Ort des Geschehens. Der Schütze, der ihn begleiten möchte, hat einen Vorstehschützen mitgebracht, der sich an dem Auswechsel der Rotte stellt. Nun beginnt für den Profi die Arbeit. Vom Schützen lässt er sich alles noch mal genau erklären. Wo er gestanden hat, von wo die Sauen kamen, wo er geschossen hat, wie sie gezeichnet hat und wo sie nach dem Schuss hin ist. Jeder Hinweis kann wichtig sein. Erst danach geht es zum Anschuss. Die Nase fast am Boden untersucht Wessendorf die Teile und findet einen Knochensplitter und einige Borsten. Etwas weiter, der Fluchtfährte folgend, entdeckt er endlich Schweiß.
Erst jetzt kommt „Bruno“ zum Einsatz. Der große Hannoversche Schweißhundrüde springt aus dem Kofferraum und dreht schwanzwedelnd ein paar Runden ums Auto, um die Jäger zu begrüßen. Ein „Hier ran“ vom Herrchen lässt den Hund wieder zum Kofferraum traben. Ganz ruhig legt der 43-Jährige das Schweißgeschirr an. Der Rüde versteht sofort, worum es geht und was er tun soll. Die Rute immer in Bewegung, die Nase am Boden, taucht er in den Maisschlag ein. Wessendorf folgt ihm am langen Riemen.

„Wegen der geringen Sichtweite ist es ziemlich schwer, auf den Stängeln und Blättern Schweiß zu finden“, sagt der Stadtförster. Die meiste Zeit hat er einen Arm oder die Hand vor dem Gesicht, damit ihm kein Maisblatt ins Auge sticht. Aber zum Glück weiß ja der Hund, wo‘s lang geht. Auf seiner Höhe sind kaum Blätter an den Stängeln, und so kann er sich flotten Schrittes durchschlängeln. Es geht von Maisreihe zu Maisreihe. Von einem Schadloch zum nächsten. Immer wieder verweist „Bruno“ ein paar Tropfen angetrockneten dunklen Schweiß. In lichten Reihen wuchert Melde. „In so ein Dickicht könnte sich die Sau eingeschoben haben“, flüstert der Schweißhundführer. Im Sand stehen jede Menge Fährten. Der Schlag ist etwa 120 Meter breit und etwa 700 Meter lang und über Nacht haben überall die Sauen gewütet. An manchen Stellen lässt sich fast einmal quer durchschauen. Für den Hund macht es das natürlich doppelt so schwer. Nicht nur, dass es im Mais sehr heiß ist. Überall sind Verleitfährten, und die gesuchte Sau ist kreuz und quer drübergewechselt.

Nach einem weiten Bogen kommen die drei wieder beim Anschuss aus dem Feld. „Lass uns mal kontrollieren, ob sie nicht mit der Rotte raus ist“, schlägt der Schütze vor. „Bruno“ wird am Auswechsel angesetzt und zieht in Richtung Wald. Deutlich ist in den Brombeeren der Wechsel der Rotte zu erkennen. An einer ungeknickten Ranke bleibt der Schweißhundführer stehen. Er zieht ein frisches Stofftaschentuch aus seiner orangen Warnjacke, spuckt drauf und wischt über einen gefleckten Gradhalm. „Doch kein Schweiß“, erkennt der 1,95-Meter-Mann und geht zielstrebig weiter. Nach etwa 200 Metern fragt er „Bruno“: „Ist hier was?“ Der Hund dreht um und kommt auf ihn zu. „Auf einer Schweißfährte würde er das nicht machen. Die Sau ist woanders“, sagt Wessendorf. Also noch mal auf Anfang. Wieder zieht der fünfjährige Rüde in den Mais. Das Gespann arbeitet den ganzen Schlag hoch. Auf einmal wird der Hund unruhig und beißt in den Riemen. „Er will geschnallt werden“, erkennt Wessendorf und macht seinen Vierbeiner los. Nach wenigen Sekunden gibt er Laut.

Weidmannsheil dank Vorstehschütze
Wessendorf schaut auf sein GPS-Empfänger, und erkennt, dass „Bruno“ nur 300 Meter vor ihm arbeitet. Als er näher kommt, geht er auf die Knie, um besser sehen zu können, doch der Mais ist zu dicht. Dann verstummt auch noch der Hund. Ein Blick aufs Garmin verrät, dass „Bruno“ die Fährte zurück arbeitet. Wieder Laut! Wessendorf rennt los. Als es rechts raschelt, erstarren die beiden Jäger. Ein Frischling wechselt nur zwei Maisreihen entfernt an ihnen vorbei. Ist es das kranke Stück? Nein. „Der hat wahrscheinlich den Anschluss verpasst“, sagt der Schütze. Da gibt „Bruno“ wieder Laut. Diesmal hört er sich aggressiver an. Mit dem Garmin in der Hand eilen die Jäger dem Bail entgegen. Dann wechselt er vom Stand- zum Hetzlaut. Wieder Ruhe!
Ein Schuss zerreißt die Stille. In solchen Momenten geht dem Hundeführer nur eins durch den Kopf: „Hoffentlich nicht der Hund“. Doch „Bruno“ kommt den Jägern schon rutewedelnd entgegen, als wollte er sagen: „Hier drüben liegt sie doch“. Und tatsächlich nur wenige Meter weiter liegt die verendete Sau. Der Überläufer wollte direkt vor dem Vorstehschützen den Schlag verlassen und er konnte einen Schuss loswerden. Wessendorf streckt die Finger aus und zeigt auf die Wunde am linken Vorderlauf. „Schau mal! Die Fliegen haben schon Eier abgelegt.“ Bei der Hitze geht das schnell. Die Sau wird geborgen und abtransportiert. Nach knappen vier Stunden im Mais haben sich die Jäger ein kühles Feierabendbier verdient und „Bruno“ einen extra großen Happen Pansen. Doch die Mais-Saison hat gerade erst begonnen. Drei Stunden später klingelt wieder das Handy. „Sau am Mais beschossen“, sagt eine geknickte Stimme. Morgen früh geht’s also weiter.
