Vorsichtig stapfen mein Kollege und ich den kleinen Hang hinauf. Unser Ziel ist ein Farnfeld, in dem mehrere hundertjährige Eichen stehen. Es ist kurz vor fünf Uhr, und die Sonne geht gleich auf. Auf vergangenen Pirschgängen haben wir hier wiederholt Waschbären gespürt.
Neben Brantenabdrücken im Schlamm der Suhlen und auf den Rückeschneisen spricht auch die Borke der Eichen eine deutliche Sprache. Denn wo die Waschbären regelmäßig aufbaumen, leuchtet die Borke rötlich, weil sie die oberste von Grünalgen überzogene Schicht heruntergekratzen.
Während mein Mitjäger Kamera, Stativ und Dreibein trägt, habe ich meinen Blaser BD 14 auf der Schulter. Der Rottumtaler Waschbärlocker baumelt am Hals. Zu Hause habe ich für einen Moment überlegt, die kleine .17 HMR mitzunehmen. Doch da im Revier auch immer mit Rot-, Dam- und Schwarzwild zu rechnen ist und vielleicht steil nach oben geschossen werden muss, griff ich dann doch zur Universalwaffe im Kaliber 7 x 57 R, 5,6 x 50 Remington Magnum und 20/76 Magnum. Besonders wenn Waschbären aufbaumen, ist ein Schrotlauf Gold wert.
Getarnt in den Einstand der Bären
Als wir nach kurzem Fußmarsch den Farn erreichen, prüfe ich mit Seifenblasen den Wind. Da er leicht schräg von vorn kommt, richten wir uns neben einer knorrigen Eiche ein. Ein Schirm ist nicht nötig, denn wir tragen Tarnanzüge, Mückenschleier und Camouflage-Handschuhe. Wie beim Blatten auf den roten Bock lasse ich zunächst eine Viertelstunde vergehen, bis ich das erste Mal zum Locker greife. Ich weiß nicht, ob diese selbst auferlegte Pause wirklich nötig ist, doch irgendwann entwickelt man als Lockjäger seinen Rhythmus und bleibt dabei.

Als die 15 Minuten verstrichen sind, lege ich den Rottumtaler Waschbärlocker so in die rechte Hand, dass der schmale Hirschhornring als Parierstück zwischen Daumen und Zeigefinger liegt. Dann schließe ich sachte die Hand und setze die leicht eingerollten Lippen ans Mundstück. Wie es mir Lockjagdexperte Klaus Demmel beigebracht hat, beginne ich im Rachen ein brummendes Geräusch zu erzeugen. Die Laute klingen so, als würden zwei Waschbären miteinander schwatzen.
Um die Situation lebendiger zu gestalten, bewege ich dabei langsam den Oberkörper nach links und rechts und ändere die Lautstärke, in dem ich die linke Hand mal mehr und mal weniger vor dem Schaltrichter öffne. Nach den ersten verklungenen Lauten lasse ich das „Kampfgeschrei“ zweier Bären ertönen. Das klingt, als würden sich die Räuber um Fraß streiten – ein Klang, dem sich kein hungriger Waschbär entziehen kann. Eikes Nicken verrät, dass er mit meinen Lockgeräuschen zufrieden ist.

Die ersten Räuber stehen zu
Als ich wieder nach vorn blicke, traue ich meinen Augen kaum. Denn im selben Moment kommen zwei fast schwarze Waschbären aus dem Farn gestürmt. Ich wage es nicht, zum Drilling zu greifen, der auf meinem Schoß ruht. Schon haben sie uns entdeckt. Kein Wunder, denn sie sind kaum 15 Schritte entfernt. „Das gibt’s doch nicht!“, denke ich und versuche im Zeitlupentempo den Schaft irgendwie an die Schulter zu bekommen. Doch schon drehen sich die beiden Räuber auf den Hinterbranten um und sind zwischen den Farnwedeln verschwunden.
„Eine Minute gelockt und schon die erste Chance versaut“, flüstere ich MItjäger Eike zu. Der nickt und gesteht, dass er es auch nicht geschafft hat, Fotos von den zustehenden Waschbären zu machen. Mit dem Drilling im Voranschlag, versuche ich noch einmal mein Glück und imitiere erneut zwei kreischende Räuber. Doch meine Bemühungen sind umsonst: Die Bühne bleibt leer.

So leicht geben wir nicht auf! „Vielleicht sind sie ja die alte Eiche an der Suhle hoch?“, sagt Eike. „Gut möglich“, flüstere ich und laufe los. Als wir den Baum erreichen, ist weit und breit kein Waschbär zu sehen. Allerdings entdecken wir in zehn bis zwölf Metern Höhe eine kleine Höhle. „Bingo!“, flüstert Eike und zeigt nach oben. „Versuch es doch mal! Vielleicht steckt dort ja einer der Räuber.“
Waschbärbaum-Kataster anlegen
Es lohnt sich, ein „Waschbärbaum-Kataster“ anzulegen. Die darin notierten Waschbär-Hot-Spots (Schlafbäume etc.) können dann am frühen Morgen oder am späten Abend gezielt abgelaufen werden. Das macht – wie bei der Blattjagd – zu zweit besonders viel Spaß. In den Mittagsstunden (Ruhezeit) ist selbst in Top-Ecken relativ wenig los.
Neben der Waschbärpirsch lohnt es sich natürlich auch, beim Ansitz an der Kirrung hin und wieder zu locken. Das bringt die neugierigen Räuber auf die Läufe. Anderes Wild stört sich unserer Beobachtungen zufolge kaum bis gar nicht an den Waschbärlauten. Dennoch sollte immer in Maßen gelockt werden.
Weidmannsheil an der Eiche
Um nicht auf den ersten Blick von dem angelockten Räuber entdeckt zu werden, setzen wir uns in guter Schrotschussentfernung hinter einem Weißdornbusch an. Das hat neben dem Sichtschutz den Vorteil, dass der Waschbär aus seinem Versteck klettern muss, um zu eräugen, was da gespielt wird. Der Schuss in die Höhle verbietet sich, weil der getroffene Räuber in diese rutschen würde und damit verloren wäre. Gebannt starren wir auf den Eingang der Höhle. Dann lasse ich den Locker kreischen.
Nichts! Aber was ist das? Im selben Moment kommt ein Waschbär aus der Baumkrone kopfüber nach unten geklettert, um hinter einem dicken Ast nach unten zu sichern. „Schieß!“ zischt Eike. Im selben Moment krümme ich den Finger. Getroffen fällt der Rüde aus dem Astwerk und schlägt mit einem dumpfen Schlag auf dem Boden auf. „Könnte einer der beiden gewesen sein“, mutmaßt mein Mitjäger. Zur Sicherheit warten wir noch ein paar Minuten unterhalb der Höhle, doch die scheint wirklich leer zu sein. An der nächsten Stelle kommt außer einem Damwildrudel nichts mehr in Anblick. So beschließen wir, erneut den Standort zu wechseln und ein paar „Waschbäreichen“ abzuklappern.

Abgeklapperte Schlafbäume
Wir beeilen uns, denn je höher die Sonne steigt, desto kleiner werden unsere Chancen auf einen zweiten Bären. Wenn Waschbären einmal schlafen, sind sie nur sehr schwer munter zu bekommen. Kein Locker dieser Welt holt sie dann aus dem Land der Träume. Nachdem wir drei Bäume erfolglos kontrolliert haben, finden wir eine bisher unbekannte Schlafhöhle. Und in der scheint sich nach den ersten Rufen tatsächlich etwas zu regen. Mit dem 10x42er Doppelglas ist schemenhaft die Maske eines Waschbären zu erkennen. Auf meine nächsten Lockrufe taucht in der Öffnung kurz ein Gehör auf. Dieses Mal bleibt das Laufbündel des Drillings jedoch kalt.
Mir ist die Situation einfach zu heiß. Zu wenig Trefferfläche! Fünf Minuten versuche ich es noch mit allen möglichen Tricks, den Waschbär aus seinem Versteck zu locken, dann geben wir auf.
Fazit: Die Lockjagd auf Waschbären funktioniert tatsächlich. Sind welche in der Nähe, können sie sich kaum den Lockgeräuschen entziehen. So neugierig die Räuber auch sind, von allein klettern sie dem Jäger nicht in den Rucksack. Einmal vergrämt, kommen sie nur selten zurück. Wie bei allem anderen Haarwild sollte bei der Standwahl immer auf den Wind und gute Tarnung geachtet werden.