Es gibt Dinge im Leben, die kann man sich anlesen. Bei anderen ist das unmöglich. Und genau dies trifft bei der Jagdausbildung zu. Ich würde sogar noch weiter gehen und sagen, dass die Jagd mit all ihren komplexen Sachverhalten ein Paradebeispiel dafür darstellt. Wie bei vielen Prüfungen ist vor allem die Theorie reine Fleißarbeit. Wer sich dahinter klemmt und paukt, kann mithilfe von Lerngruppen aber auch im stillen Kämmerchen jede Menge prüfungsrelevante Inhalte verinnerlichen. Material in Form von Lehrbüchern gibt es genug – über deren Qualität kann man hier und da streiten, aber das ist ein anderes Thema.
In der Kürze liegt nicht immer die Würze
Besonders bei Kompaktkursen ist es teilweise so, dass die Teilnehmer kurze Zeit nach der Prüfung das Meiste wieder vergessen haben. Kein Wunder, denn um Informationen im Langzeitgedächtnis zu verankern, ist eine gewisse Zeit vonnöten. Der Sohn meiner Nachbarn besucht gerade die Oberstufe eines Gymnasiums und hat kürzlich während eines Gesprächs den Begriff „Bulimie-Lernen“ fallen lassen. Ich war zunächst irritiert und wusste nichts damit anzufangen. Charakteristisch sei seinen Ausführungen zu Folge das kurze, sehr intensive Auswendiglernen mit dem Ziel, das Wissen im Anschluss „einfach wieder auszuspucken“. Auch, um Platz für neue Inhalte zu schaffen. Die Begrifflichkeit sagte mir gar nicht zu, doch der Inhalt leuchtete ein. Das lag auch daran, dass ich in den vergangenen Jahren mehrfach engen Kontakt mit Kursteilnehmern hatte und dieses Phänomen direkt beobachten konnte.
Vor allem Jagdscheinanwärter, die über keine Vorkenntnisse verfügen, sind häufig mit der Menge an Lernstoff überfordert. Stellen wir uns mal den Städter vor (ich bin selber einer), der sich in Zukunft sein Fleisch selber besorgen möchte, weil ihn die ganze Massentierhaltung anekelt. Zunächst mal: Guter Vorsatz, dagegen lässt sich nichts einwenden. Aber: In der Regel sind diese Anwärter jagdlich völlig unbeleckt. Zeit ist auch Mangelware und ein Intensivkurs an einer privaten Jagdschule häufig die Folge. Die Theorie ist das Eine, darüber haben wir eben schon gesprochen. Aber was ist mit der so immens wichtigen Praxis? „Erfahrungsgemäß liegt der Ausbildungsumfang bei den Kompaktkursen (3 Wochen) kommerzieller Jagdschulen nahe bei der vorgeschriebenen Mindestausbildungszeit (130 Std. Praxis), selten über 140-150 Stunden. Die Kurse der Jägervereinigungen oder den kommerziellen Jagdschulen, die jedoch eher in kleinerem Umfang ausbilden bzw. den ‚Nebenerwerbs‘-Jagdschulen, liegen oft über 200 Stunden“, sagt Bodo Baier (Prüfungsstelle des Landesjagdverbandes Baden-Württemberg). Das deckt sich auch mit meiner Wahrnehmung. Hinzu kommt, dass der Eleve bei langfristig angelegten Ausbildungsmodellen deutlich mehr Einblick in den Ablauf eines Jagdjahres bekommt.
Theorie ist das Eine, Praxiswissen das Wichtigere
Aber: Praxis ist für mich nicht gleich Praxis. Einen Hochsitz kann ich nach Bauanleitung bauen. So lange die UVV eingehalten wird, ist alles schick. Und wenn das Teil bereits nach zehn anstatt 15 Jahren den Geist aufgibt, weil mir die Erfahrung fehlt, ist das schade. Aber kein Beinbruch. Oder wenn der Wildacker nicht genug Ertrag erzielt, weil er falsch ausgerichtet ist oder die verwendeten Samen nicht dem Bodenwert entsprechen. Das ist ärgerlich, tut aber keinem weh. Wenn jedoch eine führende Bache auf der Strecke liegt, weil die Ansprechpraxis fehlt und die Frischlinge kläglich eingehen, dann hört der Spaß auf. Jäger erlegen Wild, und genau das ist der sensibelste Teil unseres Handelns. Tierschutz wird in Deutschland zu Recht groß geschrieben. Das Problem: Um Wild sicher ansprechen zu können, ist eines wichtig: Praxis, Praxis und noch mal Praxis. Es ist nicht mit zwei Ansitzen, zwei Drückjagden und einem Besuch im Wildpark getan. Bei Weitem nicht. Man muss regelmäßig draußen sein. Die Routine macht den Unterschied. Je mehr Anblick, desto besser. Hinzu kommt, dass das Wild im Winter andere Merkmale als im Frühling oder Sommer aufweist. Auch die Lichtverhältnisse und das Wetter variieren, was wiederum das Ansprechen erschwert. „Du musst ein gewisses Habitusgefühl entwickeln und das dauert“, sagte mein damaliger Lehrprinz immer.
Ihr Wissen ist zwingend gefragt
Sie werden jetzt sagen. „Ändern können wir die Prüfungsordnung nicht, und immer nur meckern hat auch noch keinem geholfen.“ Absolut richtig! Verstehen Sie mich nicht falsch. Viele Jagdschulen leisten im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften sehr gute Arbeit. Aber wie soll jemand, der von Jagd keinen blassen Schimmer hat, innerhalb von drei Wochen zum waidgerechten Jäger werden? Das ist unmöglich! Kommen wir zum Punkt: Das eben erwähnte Lehrprinzentum ist meiner Meinung nach wichtiger denn je. Die Nachfrage ist da. Beispiel: Ein Jagdfreund hat sich auf dem Portal eines Jagdverbandes, welches Lehrprinzen vermittelt, registrieren lassen. Für ein ganzes Bundesland sind dort übrigens noch nicht mal ein Dutzend Freiwillige gelistet! Das Ergebnis war, dass er zahlreiche Zuschriften erhielt. Mit einem Anwärter wurde er sich einig, dem anderen musste er absagen. Gegenteiliges Beispiel: Kürzlich habe ich mit einem weiteren Bekannten über dieses Thema gesprochen: „Mir ist das zu viel. Ich habe keine Lust, dass einer, der keine Ahnung hat, die ganze Zeit hinter mir herläuft“, sagte er gerade heraus. Sich einzuigeln und nicht in die Karten schauen zu lassen, ist unter deutschen Jägern leider verbreitet. Wenn jeder so handelt, hat es der Nachwuchs verdammt schwer.
Auch ich nehme regelmäßig Interessierte „Normalbürger“, Jagdkursteilnehmer und Jungjäger mit zum Ansitz. Derzeit begleiten mich regelmäßig Carl, ein Forststudent, der gerade an der Uni den Jagdschein macht, und Söhnke, ein Jungjäger mit Mitte 60, dem es noch an Praxis fehlt. Beide sind äußerst dank- und vor allem formbar. Ich möchte hiermit alle „erfahrenen Hasen“ ermutigen, sich stärker in Sachen Aus- und Fortbildung unserer Jagdscheinanwärter und Jungjäger zu engagieren. Das kommt am Ende allen zu Gute, vor allem dem Wild.