Jagdmunition: Splitterwirkung von Büchsengeschossen

Die Gefahr von Geschosssplittern wird häufig unterschätzt. Erst wenn etwas passiert ist, rückt sie wieder stärker ins Bewusstsein.
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15. November 2022
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Solche Geschosssplitter können auf der Jagd schnell zur tödlichen Gefahr werden.
Solche Geschosssplitter können auf der Jagd schnell zur tödlichen Gefahr werden.

Der Schweißriemen wird schlaff – gefunden! Vor dem Gespann liegt ein verendeter Frischling. Als der Schütze an das Stück kommt, wird sein Gesicht lang: „Das ist nicht die Sau, die ich beschossen habe. Meine war größer!“ Also nochmal zurück zum Anschuss. Der Alpenländische-Dachsbracken-Rüde arbeitet diesmal in eine andere Richtung. Nach ca. 300 m liegt ein Überläufer mit Lebertreffer. „Ja, das ist die richtige Sau“, bestätigt der Schütze.

Und der Frischling? Dieser stand während der Schussabgabe anscheinend vom Überläufer oder vom Gras verdeckt etwas seitlich versetzt. Beim Aufbrechen fanden wir einen scharfkantigen Splitter vom Geschossmantel, der die Halsschlagadern durchschlagen hatte. Ein Beispiel für die Kehrseite der bei Jagdmunition erwünschten und erwarteten Splitterwirkung.

Wissenschaftliche Untersuchungen von Büchsenmunition

Von der Splitterwirkung, wie auch von der Geschossablenkung, wissen wir eigentlich recht wenig. Über die konkreten Auswirkungen haben wir oft keine rechte Vorstellung. Allenfalls Fotos vom Geschossverhalten in Gelantineblöcken geben uns einen visuellen Eindruck. Um dies unter praxisnahen Bedingungen zu verdeutlichen, gab es in der Vergangenheit einige Versuche.

Das Thema Geschossablenkung wurde u. a. in Versuchen der DEVA (Deutsche Versuchs- und Prüfanstalt für Jagd- und Sportwaffen) oder verschiedener Jagdmagazine recht eindrücklich überprüft: Auf einem Schießstand wurden unter definierten und reproduzierbaren Bedingungen verschiedene Hindernisse wie Gras, Stroh, Äste oder Stöcke in die Geschossflugbahn eingebracht. Diese wurden dann beschossen und auf der dahinterliegenden Scheibe und Telefonbüchern die Abweichung aus der eigentlichen Schussrichtung und der Energieverlust gemessen.

In einem Wurzelstock ist der Restkörper des Geschosses zu finden.
In einem Wurzelstock ist der Restkörper des Geschosses zu finden.

So zeigten sich in einzelnen Fällen verschiedene Geschosse oder auch Kaliber richtungsstabiler als andere. Die Ergebnisse insgesamt waren aber ebenso beeindruckend wie ernüchternd. Ein gegen Ablenkungen unempfindliches Geschoss gibt es nicht – in keinem Kaliber. Nicht ohne Grund wird immer wieder auf eine freie Flugbahn hingewiesen. Aktualität bekommt dieser Hinweis wieder bei der Verwendung von Nachsichttechnik, v. a. beim Einsatz von Wärmebildgeräten, bei der entsprechend kleine Hindernisse in der Geschossflugbahn oft nicht klar erkennbar sind.

Rückschlüsse aus Anschussseminaren

Nun stellt aber auch der Wildkörper selbst für das Geschoss ein Hindernis dar. Wie sieht es nun in der jagdlichen Praxis hinter dem Wildkörper aus? Wir hatten in über 50 Anschussseminaren die Möglichkeit, davon einen Eindruck zu bekommen und diesen bildlich darzustellen:

Der Aufbau dabei ist klassisch: In einem Gestell wird ein Wildkörper aufgehängt. Etwa 1 - 2 m hinter dem Stück wird eine Silofolie angebracht. Die weiße Seite der Folie zeigt zum Stück und verdeutlicht die Verteilung der Pirschzeichen hinter ihm. Auf der abgewandten schwarzen Seite erkennt man dann sehr schön die von den Geschossresten und -splittern verursachten Durchschläge.

Auf das Stück (in der Regel ein Stück Rehwild oder Schwarzwild bis ca. 25 kg) wird mit Jagdmunition ein Schuss abgegeben. Im Lauf der Zeit kamen hierbei verschiedene jagdübliche Kaliber und unterschiedliche Geschosskonstruktionen bzw. -materialien (bleihaltig, bleifrei) zum Einsatz. Auch mit Vollmantelgeschossen wurde versuchsweise gearbeitet. Die entstandenen Durchschläge wurden abschließend auf der Folie zur besseren Sichtbarkeit mit Markierungsspray gekennzeichnet. Teilweise wurden zusätzlich auch die äußersten Abgangswinkel hinter dem Stück markiert.

Deutliche Abweichung der Flugbahn

Die beobachteten Ergebnisse sind eindrucksvoll: Die Anzahl der gefundenen Splitter ist in erster Linie der Geschosskonstruktion geschuldet. Dabei ist es unerheblich, ob wir nun bleifreie oder bleihaltige Konstruktionen verwenden. Klassische Zerleger wie bleihaltige Teilmantelgeschosse oder auch Teilzerleger liefern eine vergleichsweise große Zahl an Durchschlägen. Deformationsgeschosse liefern erwartungsgemäß deutlich weniger Splitter, aber auch bei den verwendeten Geschosstypen kam es vereinzelt zu abgerissenen Fahnen.

Die Verteilung der Splitterwolke war sehr eindrucksvoll und entspricht der bereits von Peter Grieder in PIRSCH-Ausgabe 1/ 2006 prognostizierten Trichterform. Die konstruktionsbedingt recht massestabilen Geschossrestkörper zeigten stellenweise eine deutliche Abweichung der ursprünglich erwarteten Flugbahn. Auch trafen sie oft als „Querschläger“ schräg auf der Folie auf. Ebenso das zu Testzwecken verwendete bleihaltige Vollmantelgeschoss, das in unseren Versuchen erwartungsgemäß keine Splitterwirkung zeigte.

Wildkörper hat Einfluss auf die Splitterwirkung

Die Splitterwirkung und die Ablenkung sind auch davon beeinflusst, ob im Wildkörper ein Knochen getroffen oder durchschlagen wird. Allerdings können wir das bei der Schussabgabe nicht exakt voraussehen. Jeder Schuss bzw. Treffer auf einen Wildkörper ist im Gegensatz zu einem definierten Versuchsaufbau mit Hindernissen, wie z.B. Ästen, einzigartig und nicht exakt wiederholbar.

Wissenschaftlich angelegte Versuche unter standardisierten Bedingungen wie die Diplomarbeit von Thomas Löcher ergaben z.B. Ablenkungswinkel von bis zu 41 Grad zur ursprünglichen Flugbahn. Werte, die noch vor wenigen Jahrzehnten von Ballistikern als absolut unmöglich bezeichnet wurden. So decken sich die Ergebnisse unserer „Wald- und Wiesenballistik“ mit denen unter Laborbedingungen.

Kugelfang hat oberste Priorität

Was sind nun die Konsequenzen? Ein massiver Geschosskörper – mehr oder weniger stark abgelenkt – mit 50 bis 90 % Restgewicht, der noch mehrere 1.000 m weit fliegen kann. Oder die vielen kleinen Splitter, die sich schrotschussartig bis zu 100 m im Gelände verbreiten. Auf diese Fragen gibt es nur eine Antwort: Splitter und der mehr oder weniger große Geschossrestkörper stellen eine ernstzunehmende und reale Gefahr für das Hinterland dar. Wir müssen daher immer (!) darauf achten, dass sich auch seitlich hinter dem zu erlegenden Stück keine weiteren Stücke befinden. Weiterhin muss ein entsprechender Kugelfang vorhanden sein. Eine „grüne Wand“ wie der Rand eines Maisfeldes oder ein Dickungsrand sind kein Kugelfang. Kugelfang ist nur gewachsener Erdboden!

Besondere Vorsicht bei Ernte- und Drückjagden

Nicht nur beim Ansitz, sondern gerade auch auf Ernte- und Drückjagden, wo wir uns vor dem Schuss sehr auf das anwechselnde Wild konzentrieren, müssen wir zusätzlich wissen, wo sich im Moment der Schussabgabe Treiber, Hundeführer, Hunde, Mitjäger, aber auch Wohngebiete oder unbeteiligte Dritte befinden – und in welchen Bereich wirklich gefahrlos geschossen werden kann.

Auch jeder Hundeführer muss sich beim Fangschuss dieser Gefahr unbedingt bewusst sein. Genauso wie der Jäger, der im Straßenverkehr angefahrenes und verletztes Wild erlöst, da bei einem Schuss im Bereich der Fahrbahn ein sehr hohes Abprall- und Querschlägerrisiko besteht. Denn schon unsere Altvorderen wussten: „Ist die Kugel erst aus dem Lauf, hält kein Teufel sie mehr auf.“

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