Was tötet Wild nach dem Schuss? – Haltepunkt erklärt

Als Jäger versuchen wir, Wild möglicht schnell und schmerzlos zu erlegen. Aber warum schießen wir dorthin, wo wir hinschießen?
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10. Mai 2023
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Es lässt sich festhalten, dass alle Säugetiere gleich und zwar letztendlich durch den Hirntod sterben. Ziel des Erlegungsprozesses ist es also, den Hirntod des Tieres herbeizuführen. Das Gehirn wiederum kann auf verschiedene Arten sterben: Zum einen sorgt die direkte Zerstörung des Stammhirns dafür, dass ab diesem Augenblick keinerlei Signale mehr von ihm an Organe und Muskeln gesendet werden, so dass diese umgehend ihren Dienst quittieren. Zum anderen stirbt das Gehirn durch das Abschneiden der Sauerstoffversorgung, wenn kein sauerstoffreiches Blut mehr dort ankommt.

Der Hauptschuss ins Stammhirn

Moderne Geschosse fliegen schneller als die Reize in den Nervenbahnen fließen. Je nach Fasertyp leiten Nerven bei Säugetieren Impulse zwischen 1 und 120 m/s. Großkalibrige Büchsengeschosse hingegen legen zwischen 700 und 1.000 Metern in der Sekunde zurück. Ein Geschoss, das das Stammhirn trifft, vernichtet als Folge jegliche Empfindung, die in diesem Moment noch auftreten könnte. Ein solcher Schuss tötet ein Säugetier also, bevor es überhaupt merkt, getroffen worden zu sein. Ein Treffer ins Stammhirn ist für ein Stück Wild vollkommen leidfrei. Es stirbt schlagartig in Bruchteilen einer Sekunde.

Es ist zumindest in der Theorie ohne Zweifel nach dem Tierschutzgesetz die schonendste Art, Wild zu erlegen. Ähnliches gilt für einen Treffer in die Wirbelsäule am Träger. Dieser kappt das zentrale Nervensystem (ZNS). Es findet keine Kommunikation zwischen Gehirn und den lebenswichtigen Organen mehr statt.Beide Trefferzonen haben jedoch einen eklatanten Nachteil, der diese Lösung für unseren jagdlichen Alltag eher nicht brauchbar macht: Das Haupt und der Träger sind sehr kleine Ziele.

So läuft es perfekt, bevor der Baum den Frischling verdecken kann.Hier schafft der Schütze einen hervorragenden Treffer auf den Frischling.Solche Treffer muss man nicht zeigen, meint unser treuer Leser Thomas Johannsen.Tödlich zwischen Herz und Blatt getroffen wird dieser Firschling sicherlich noch einige Meter flüchten.
Tödlich zwischen Herz und Blatt getroffen wird dieser Firschling aufgrund der Drückjagdsituation sicherlich noch einige Meter flüchten.

Unter normalen jagdlichen Umständen ist es nicht waidgerecht, Schüsse in diese Regionen anzutragen. Die Zielgröße sowie unvorhersehbare Bewegungen des Wilds von Haupt oder Träger können fatale Fehlschüsse zur Folge haben, die unsägliches Tierleid mit oft erfolglosen Nachsuchen bedeuten können. In der Summe betrachtet sollten wir diese Art der Trefferplatzierung also primär auf den Fangschuss mit möglichst geringer Distanz beschränken. Der bei Schwarzwild oft erwähnte „Schuss hinter den Teller“ ist übrigens kein Hirnschuss und sollte aus unserem Vokabular sowie der jagdlichen Praxis umgehend verschwinden.

Alle Wirbeltiere sind auf den dauerhaften Kreislauf ihres Blutes angewiesen. Wird dieser Kreislauf – auf welche Art und Weise auch immer – unterbrochen, droht akute Lebensgefahr. Kurzfristig ist daher der Blutkreislauf im Zusammenhang mit der Atmung am wichtigsten, mittelfristig auch zusammen mit der Durchblutung der Leber. Langfristig müssen alle lebensnotwendigen Organe im Körper mit sauerstoffhaltigem Blut versorgt werden.

Abgeschnittene Sauerstoffversorgung

Die rechte Herzkammer pumpt zum Gaswechsel Blut durch die Lungen. Die linke Herzkammer pumpt Blut durch den Körper. Gefäße, die mit Sauerstoff angereichertem Blut gefüllt sind – die Arterien –, müssen einem erheblichen Druck standhalten. Dieser entspricht ungefähr einer 2 m hohen Wassersäule. Venen transportieren sauerstoffarmes Blut zurück zur Lunge, wo es wieder angereichert wird. Sie stehen unter einem geringeren Druck als Arterien. Wenn ein Säugetier Blut verliert, sinkt dadurch der Blutdruck. Dieser ist jedoch wie in einer Wasserleitung erforderlich, damit genug Blut alle zu versorgenden Organe erreicht.

Die Organe benötigen konstant frisches Blut, um störungsfrei zu arbeiten. Naturgemäß fallen die Augen mit als erstes aus, wenn hoher Blutverlust eintritt und der Blutdruck entsprechend fällt. Die jüngeren Hirnteile (Groß- und Zwischenhirn) benötigen ebenfalls viel Blut. Die Auswirkungen von Blutmangel in diesen Hirnregionen treten ebenfalls schnell ein.

Die Lage der wichtigsten inneren Organe und der Skelettstruktur bei einem Reh.
Lage der inneren Organe in einem Reh. Deutlich ist zu sehen, wie weit der Weidsack nach vorn reicht.Die Lage der wichtigsten inneren Organe und der Skelettstruktur bei einem Reh.

Insgesamt können wir die Auswirkungen des Blutdruckabfalls beim getroffenen Stück Wild anhand einer bestimmten Reihenfolge von Ausfällen beobachten: Häufig können stark schweißende Stücke nicht mehr äugen, weil die Netzhautdurchblutung ausgefallen ist. Flüchtende Tiere werden daher schnell blind und laufen oft sogar gegen Hindernisse, die sie ansonsten umlaufen würden. Die Funktionseinschränkung des Groß- und Zwischenhirns führt zu einem Verlust der Kontrolle über das Gleichgewicht.

Als Konsequenz stolpern sie häufig oder fallen sogar vollständig um. Sicherlich haben Sie bereits beobachten können, wie Schalenwild in der Todflucht auf dem Feld in einem Bogen läuft und schließlich zur Seite kippt. Weitere Körperteile werden nach und nach ausfallen, wenn die Blut- und damit Sauerstoffreserven in den Gefäßen aufgebraucht sind.

Zerstörung der Lunge und des Herzens

Wird durch den Schuss die Lunge zerstört, wird bei noch intaktem Blutkreislauf nur noch das bereits mit Sauerstoff angereicherte Blut durch den Körper gepumpt. Es kann kein frischer Sauerstoff mehr in den Blutkreislauf gelangen. Im Resultat wird auch durch einen Lungenschuss das Gehirn von der Sauerstoffversorgung abgeschnitten und fängt langsam an abzusterben. Das absterbende Hirn hört, wie bereits beschrieben, auf, Signale an andere Organe zu senden. Auch zusammengefallene Lungen (z.B. bei geöffneter Kammer) verhindern die Atmung – und damit in finaler Konsequenz die Sauerstoffversorgung des Hirns.

Der Rehbock bricht mit einem sauberen Blattschuss durch den Schock im Feuer zusammen.
Der Rehbock bricht mit einem sauberen Blattschuss durch den Schock im Feuer zusammen.

Wird das Herz oder die zu- oder abführenden Gefäße zerstört oder so geöffnet, dass eine starke Blutung entsteht, verblutet das Tier mit der Zeit. Verbluten dauert und je nachdem wie stark die Zerstörung der Blutgefäße ist, dauert es länger oder kürzer. Daher können wir häufig beobachten, dass Stücke noch gewisse Fluchtstrecken zurücklegen, obwohl sie tödlich verletzt sind. Der hydrovaskuläre Schock, also der plötzliche Blutdruckabfall im Körper und besonders im Gehirn, setzt allerdings bereits vor dem Tod die Hirnfunktionen absteigend von den unwichtigen zu den wichtigen Funktionen außer Kraft.

Besonders das Blut in den schwer zu durchpumpenden kleinen Gefäßen steht mehr oder weniger sofort still, wenn der Blutdruck abfällt. Weil die höheren Empfindungen zuerst nachlassen, ist solch ein Blutdruckabfallschock jedoch binnen kurzer Zeit, weit vor dem eigentlichen Hirntod, weitestgehend schmerzfrei. Die Schmerzdauer dürfte somit nur wenige Sekunden betragen – bei einem guten Treffer. Wir dürfen uns in dieser Erkenntnis von Bewegungen wie Schlegeln oder Zucken nicht beirren lassen, denn darin äußern sich unwillkürliche, niedere Lebensfunktionen, die ohne bewusstes Empfinden erzeugt werden können.

Schäden der Nervenbahnen

Eine sehr starke Nervenerschütterung, z.B. durch die Druckwelle eines Treffers im Wildkörper, kann ebenfalls, wenn auch auf Umwegen töten. Wenn z.B. durch die Erschütterung der Atemmuskulatur das diese steuernde Nervengewebe (im Hirn, im Rückenmark der Halswirbelsäule, im Zwechfellnerv) lahmgelegt wird, kann es zu einer Atemlähmung kommen.

Ist jene in ihrer zeitlichen Dauer lange genug, führt sie zum Tod durch Ersticken. Somit kann auch ein Wirbelsäulenstreifschuss auf den Träger (auch als Krellschuss) gegebenenfalls töten. Dies zu beachten kann helfen, die genaue Todesursache bei „seltsam anmutenden“ Schüssen zu bestimmen.

Solange es die Situation erlaubt, ist ein Fangschuss ins Stammhirn dem Abfangen mit der kalten Waffe vorzuziehen.
Solange es die Situation erlaubt, ist in einer Abfang-Situation der Fangschuss ins Stammhirn dem Abfangen mit der kalten Waffe vorzuziehen.
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