Rothirsche richtig ansprechen: Trophäen von Jährlingen

Hirsche vom 1. Kopf (AK 1) können deutlich mehr schieben als nur Spieße. Welche Bedingungen dafür herrschen müssen, erfahren hier.
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22. September 2023
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Rothirsch-Brunft-Hochgabler
Dieser Hirsch vom 1. Kopf hat bereits eine Gabel geschoben. Er wird daher als Hochgabler bezeichnet.

Wer regelmäßig starke Jährlinge und somit einen gesunden Rotwildbestand im Revier haben möchte, muss vor allem eines im Blick haben: die Wilddichte. Wir planen in unserer Hegegemeinschaft in Nordbrandenburg mit etwa 2 Stück auf 100 Hektar. Nur dann können wir es uns erlauben, einen Wahlabschuss zu treffen und gut veranlagte Stücke ziehen zu lassen.

1975 haben wir angefangen, das Rotwild auf einer Bezugsfläche von 13.800 ha zu bewirtschaften und 16 Jahre bis 1991 lückenlos Buch geführt. Wir hatten damals einen theoretischen Frühjahrsbestand von 276 Stück, 138 männlich, 138 weiblich. Der theoretische Zuwachs wird mit 75 % vom weiblichen Wild berechnet. Das sind 104 Stück/Jahr. Um die 2 Stück auf 100 ha zu halten, mussten wir also den Zuwachs abschöpfen. Dieser betrug auf die 16 Jahre gerechnet 1.664 Stück. Zu Strecke kamen 1.687 Stück! Das ist der statistische Nachweis, dass die Wilddichte in diesem Zeitraum in Ordnung war und bei etwa 2 Stück auf 100 Hektar lag, was heute immernoch der Fall ist.

Genetik, Ökosystem und Bewirtschaftung von Rotwild

Ein relativ geringer, dem vorhandenen Lebensraum angepasster Rotwildbestand führt zu körperlich starkem Wild. Hinzu kommen milde Winter und die intensive Landwirtschaft. Die Äcker ernähren das Wild. Wenn man also die wichtigen Faktoren betrachtet, kommt eine starke Trophäe vereinfacht gesagt durch die Genetik, die Ökologie des Lebensraumes und die vernünftige jagdliche Bewirtschaftung zustande (Wahlabschuss, Wilddichte). 

Wenn ich hartnäckig die Bestveranlagten totschieße und das Wild nicht alt werden lasse, gibt’s am Ende keine starken (alten) Hirsche, an denen man Freude hat. Darüber hinaus sind die Alten wichtig für die Fortpflanzung, weil diese die Alttiere möglichst schnell beschlagen und letztere dann im Frühjahr zeitig setzen. Früh gesetzte Kälber haben einen guten Start bzw. einen Entwicklungsvorsprung.

Spießer unter Trophäen-Durchschnitt erlegen

Es gibt bezüglich des Wahlabschusses bei den Jährlingen eine Regel: „Alles, was unter dem Durchschnitt ist, sollte erlegt werden.“ Ein durchschnittlicher Jährling kann natürlich auch mal ein starker Hirsch werden. Das sind „Spätzünder“, die erst bescheiden starten und dann richtig loslegen. Aber die Regel ist das nicht.

Um den Abschussplan in der Altersklasse 1 erfüllen zu können, müssen auch durchschnittliche Spießer erlegt werden. Die überdurchschnittlichen Jährlinge müssen jedoch unbedingt geschont werden, damit sie nach Möglichkeit ein Alter von 10 bis 12 Jahren erreichen. Für unsere Hegegemeinschaft haben wir beispielsweise seit Jahrzehnten festgelegt, dass endenlose Spießer bis 40 cm Spießlänge (ca. doppelt lauscherhoch) erlegt werden dürfen.

Körperliche Verfassung ist ebenfalls ausschlaggebend

Zusätzlich zu den Geweihmerkmalen spielt zweifellos die körperliche Verfassung bei der Beurteilung eine große Rolle. In den meisten Fällen ist es jedoch so, dass ein hohes Wildbretgewicht mit einer guten Geweihentwicklung einhergeht. Starke Jährlinge können bei uns im September ein Wildbretgewicht von 80 bis 100 kg erreichen. Und die körperlich starken haben in der Regel auch deutlich mehr geschoben, weil sie für diesen Kraftakt ausreichend Energie haben.

Das Prinzip der Wildbretstärke in Kombination mit der Stärke des Geweihs ist kein Prinzip der Jäger, sondern der Natur. Viele vergessen das gerne und behaupten, es sei nicht sinnvoll, anhand von Geweihstärke zu selektieren. Dem muss entschieden widersprochen werden, denn es ist eindeutig Ausdruck von Vitalität! Unser Auftrag ist es immer noch, einen gesunden Wildbestand zu erhalten.

Starke Alttiere sind zu schonen

Die Geweihten sind jedoch nur eine Seite der Medaille. Enorm wichtig für einen gesunden Bestand und starke Jährlinge sind überdurchschnittlich entwickelte Alttiere. Auch diese gilt es, bei angepasster Wilddichte unbedingt zu schonen. Häufig sind es starke einzeln gehende Tiere, die die stärksten Kälber führen. Fast immer sind diese männlich. Hirsche geben während ihres Lebens ihre Gene an zahlreiche Tiere weiter. 

Selbstverständlich lasse ich diese Stücke in Ruhe. Sie sind vital und tun dem Bestand gut. Wenn ein starker Hirsch ein schwaches Tier beschlägt, wird selten ein starkes Kalb gesetzt. Wenn jedoch ein starkes Tier von 90 oder sogar 100 kg von einem Hirsch mit 200 kg Wildbretgewicht (aufgebrochen, ohne Haupt) beschlagen wird, kann das resultierende Kalb im November 65 oder sogar 70 kg wiegen. Als Jährling wiegt es dann 100 kg. Wenn den keiner erlegt, kann man warten und staunen, was daraus wird.

Fehlabschüsse tunlichst vermeiden

Zunächst muss man festhalten, dass die meisten Fehlabschüsse bei Drückjagden erfolgen, da zum genauen Ansprechen oft die Zeit fehlt. Der Jäger sollte immer stutzig werden, wenn er ein größeres Rotwildrudel sieht, in dem er keine eindeutigen Kälber ansprechen kann. Im Zweifel sind diese so stark, dass sie sich kaum von Schmaltieren oder geringen Tieren unterscheiden. Bei Jährlingen ist es häufig so, dass sehr gut veranlagte als schlechtveranlagte Zweijährige angesprochen und erlegt werden. Jeder der in unseren Gefilden meint, einen schwach veranlagten mehrjährigen Hirsch mit Spießen vor sich zu haben und diesen erlegt, wird später am Stück vor einem starken Jährling stehen. Das geht so gut wie immer schief.

Starke Jährlinge werden oft falsch angesprochen

Bei Jährlingen mit Vereckung ist das Ansprechen schwierig. Häufig werden sie ebenfalls für schwache zweijährige Hirsche gehalten. Die fehlenden Rosen sind aus der Entfernung schwer anzusprechen. Außerdem ist in der Natur nichts in Stein gemeißelt. Es gibt auch Jährlinge mit Rosen. Ein wichtiges Erkennungsmerkmal ist, wenn Enden vorhanden sind, aber die Augsprossen fehlen. Wenn in seltenen Fällen Jährlinge doch Augsprossen schieben, sind diese in der Regel auffällig hoch angesetzt und mit einem untypischen Ansatzwinkel zur Stange ausgebildet. 

Fazit: Falls die Vermutung besteht, dass es sich bei einem bestätigten Hirsch um einen hervorragenden Jährling handeln könnte, den Finger immer gerade lassen!

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