Waldbau: Rotwild mit Köpfchen bewirtschaften

Freizeitdruck, hohe Bestände und enorme Schälschäden: In der Region Rhön-Spessart gehen Förster und Jäger beim Rotwild neue und doch irgendwie bewährte Wege.
Schälschäden durch Rotwild sind vielen Waldbesitzern ein Dorn im Auge.
Schäle durchs Rotwild sorgt in Hammelburg für Probleme.

Daniel Zippert ist kein Mann, der sich leicht entmutigen lässt. Als er 2017 seine Stelle als Chef des Forstbetriebs Hammelburg bei den Bayerischen Staatsforsten antrat, teilten ihm ehemalige Kollegen mit: „Das Problem mit den Schälschäden durch das Rotwild wirst du nicht lösen.“ Die sind im Hammelburger Raum hoch. Seit 1871 wird auf Wildschäden hingewiesen. Seine Reaktion: „Ich weiß um die Lage, aber ich will sie erträglich gestalten.“ Das soll mit dem neuen Rotwild-Konzept gelingen, das Wald und Wild unter einen Hut bringen will. Am Anfang stand eine Bestandsanalyse. Den Schäden entgegenzusetzen hatte der Forstbetrieb wenig. „Es gab einige Ideen, aber nichts Handfestes“, sagt Zippert. Aus den Ideen schmiedeten er und sein Team, nach Gesprächen mit Betroffenen, das Rotwild-Konzept. „Man muss das Rad nicht immer neu erfinden. Vieles, was sich bewährt hat, gibt es schon.“ Die Kunst ist, Bestehendes zu verzahnen, um Erfolg zu haben.

Mehrere Stellschrauben fürs Rotwild-Konzept

Die Kernpunkte sind Ruhe, Äsung, Raumgestaltung und natürlich Jagd. „Die ist für uns eine dem Waldbau dienende Praxis“, sagt Zippert. Sein Ziel: „Ein gesunder Rotwild-Bestand, in einer dem Lebensraum angemessenen Dichte.“ Ausrotten will er Europas größte freilebende Wildart nicht. „Mir ist klar, dass es immer Schälschäden geben wird. Aber wir müssen ein Niveau erreichen, wo ich als Forstmann sage: Es bleiben genug ungeschälte Bäume übrig.“ Besonders drastisch ist die Lage im Neuwirtshauser Forst. Das Waldgebiet erstreckt sich an der A7 nahe der hessischen Landesgrenze. Vor Ort zeigt sich das Dilemma. Schäden ohne Ende und massig umgeknickte Bäume. Rotwild schälte, das offenliegende Holz wurde zum Einfallstor für Pilzinfektionen. Das Holz faulte, der Baum hielt dem Wind nicht mehr Stand und brach ab. Seit 2007 nimmt ein unabhängiger Sachverständiger Jahr für Jahr die Schäden auf. „Im Neuwirtshauser Forst liegen wir bei fünf Prozent“, sagt Zippert. Zur Einordnung: In der forstlichen Praxis gelten jährlich frische Schälschaden an maximal einem Prozent der Bäume als tragbar. Zippert kämpft um dieses Ziel: „Ich arbeite immerhin mit Steuergeldern. Meine Arbeit wird überprüft.“

Die Folge nach Jahren der Schäle. Pilzinfektionen dringen ein, der Baum knickt ab.
Die Folge nach Jahren der Schäle. Pilzinfektionen dringen ein, der Baum knickt ab.

Der Weg zur erträglichen Situation

Um der Lage Herr zu werden, setzt er auch bei der Jagd an. „Wir müssen den Jagddruck reduzieren“, sagt er. „Seit Nachtsicht- und Wärmebildgeräte verwendet werden dürfen, herrscht fürs Rotwild deutlich höherer Druck. Sie wissen nicht, dass ihnen der Schuss auf den Keiler nicht gilt.“ Als Folge zieht es das Rotwild in die Einstände. Hinzu kommen Freizeitsportler, die Unruhe in den Wald bringen. „Das Rotwild tritt dann nicht mehr zum Äsen aus, sondern schält.“ Darum fokussiert sich Zippert auf Äsungsverbesserung. Dafür hat er Wildwiesen jagdlich beruhigt. Bei diesen Flächen hofft er auf die Psyche des Wilds. Das Zauberwort? Tradierung. Das Wild merkt, dass dort ein Rückzugsort mit genügend Äsung besteht und gibt diese Information an den Nachwuchs weiter. Die Tradierung ist jedoch ein zweischneidiges Schwert. Das durften Zipperts Vorgänger bei ausgewiesenen Wildruhezonen erleben: „Während der Jagdzeit hat sich das Wild dort eingestellt und geschält. Als Schonzeit war, ist es wieder aus der Zone herausgezogen.“ Deshalb hofft er auf die jagdlich beruhigten Bereiche mit attraktiver Äsung. Die Äsung wird mit dem Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten abgestimmt. Eine Mahd an Wegrändern soll zudem die Äsungsmöglichkeiten verbessern. Gehen Schwarzkittel an den Flächen zu Schaden, arbeitet Zippert mit Vergrämungsabschüssen.

Die Strategie der Verzahnung

Darüber, wie Rotwild richtig zu bewirtschaften ist, herrscht meist Einigkeit. Ruhe, Äsung und Deckung sind stets wiederkehrende Schlagworte. In Unterfranken versuchen Verantwortliche das nun zu leben.

  • Ziel ist ein gesunder Rotwild-Bestand, in einer dem Lebensraum angemessenen Dichte.
  • Dem Wild sollen Deckung, Äsung und Ruhe geboten werden. Damit möchte man die Schäden senken.
  • Weil sich Freizeitnutzer und Erholungssuchende nicht aussperren lassen, kehrt Ruhe über die Jagd ein.
  • Das Rotwild-Konzept der BaySF soll großflächig ausgerollt werden. Je nach Raumordnung müssen Förster die Arbeit von Zippert jedoch auf ihre Betriebe adaptieren.
  • Im fünfjährigen Turnus evaluieren die Verantwortlichen die erzielten Ergebnisse und passen diese gegebenenfalls an. Dabei fließen auch neue wissenschaftliche Erkenntnisse in das Konzept mit ein.

Die Nacht gehört in Hammelburg dem Wild

Zippert möchte dem Wild Ruhe gönnen. Es gilt ein Nachtjagdverbot für Schwarzwild im Wald. Die Jagden zur Schadensabwehr auf den umliegenden Wiesen und Äckern werden mit den Verantwortlichen festgesetzt. Wichtig ist auch die Einzeljagd, sofern sie störungsarm abläuft. Dafür möchte Zippert Kurse anbieten. Und: Er hat die Anzahl der Pirschbezirke verringert. „Dadurch sind weniger Menschen im Wald.“ Dazu kommen die Vorgaben zum Kirren. Erlaubt sind Runkelrüben oder etwa Apfeltrester, zudem gibt es Regeln: ein Kilo pro Kirrung, eine Kirrung pro 100 Hektar. Ausnahmen sind nur nach Absprache möglich. Die neuen Vorgaben stießen nicht bei jedem auf Gegenliebe. Manch einer ignorierte die neuen Linien. Nach Ermahnungen folgte dann das Aus im Staatsforst. Wer geblieben ist, setzt die neue Linie mit um.

Eine andere Säule ist die Bewegungsjagd. Das bringt Ruhe und reduziert Einzeljagden. Zu sehen ist das bei Sauen. Im Hammelburger Betrieb liegen nach den Bewegungsjagden 50 bis 70 Prozent des Schwarzwilds auf der Strecke. Kommt zur Jagdzeit ein führendes Alttier mit Kalb, setzt Zippert auf das „Keine-Zeugen-Programm“. Heißt: Jäger, die Kalb und Alttier als Dublette sauber erlegen können, sind gern gesehen. Die Jagdziele sollten bis Ende Dezember erreicht sein. Nur wo der Bestand noch nicht angepasst ist, werden im Januar einzelne Stücke erlegt. Hin und wieder gibt es, wenn notwendig, kleinere Bewegungsjagden. Wo Wildschaden droht, arbeitet der Forst, auf den Lerneffekt des Wildes hoffend, mit Schwerpunktbejagung. Und: Vom 1. Juli bis zum 21. Juli sowie im Februar, März und April herrscht Jagdruhe auf alles Schalenwild.

Das Hoffen auf Gemeinschaft

Ob Zipperts 2021 angeschlagener Akkord aus Ruhe, Äsung, Lebensraumgestaltung und Jagd aufgeht, soll sich 2026 zeigen. Dann steht das Konzept auf dem Prüfstand. Alle fünf Jahre will Zippert seine Arbeit evaluieren und gegebenenfalls überarbeiten. Klar ist ihm, dass seine Vision nur mit den Anrainern aufgeht. Sein Wunsch ist ein länderübergreifendes Rotwild-Konzept. Einen Erfolg kann er bereits verbuchen. Mit Dr. Michael Kutscher, vom benachbarten Forstbetrieb in Bad Brückenau, hat er einen Mitstreiter gefunden. Dort wird Zipperts Konzept adaptiert und befindet sich in der Umsetzung.

Dr. Michael Kutscher und sein Stellvertreter Philipp Bausch im Liesbachtal.
Dr. Michael Kutscher und sein Stellvertreter Philipp Bausch im Liesbachtal.

Im Bad Brückenauer Betrieb ist etwa die Hälfte der Fläche Rotwildgebiet. Das galt es zu berücksichtigen. „Ich habe zunächst Leitarten definiert und geschaut, wo es Konflikte in der Bejagung geben könnte“, sagt Kutscher. Wie das aussieht, zeigt sich beim Schwarz- und Rotwild. „Vom Rand her haben wir einen Speckgürtel definiert, in dem auf Schwarzwild die Kirr- und Nachtjagd ausgeübt werden darf.“ Auf den Flächen, die der Speckgürtel umschließt, ist das Anlegen und das Betreiben von Kirrungen, die Nachtjagd oder die Jagd mit Nachtsichttechnik unzulässig. „Eine Grundannahme war, dass ich Störungen durch Dritte nicht ausschließen kann. Das heißt: Was ist mir als Jäger möglich, um für Ruhe zu sorgen?“ Für ihn stand fest, dass die Reduzierung der Pirschbezirke Ruhe schafft. „Im Kern des Rotwildgebiets reduzieren wir die Anzahl der Pirschbezirke. Dort jagen wir dann konzentriert nach unserer Maßgabe.“

Aber: Wie motiviert man Jäger dazu, ihren Pirschbezirk zu verlassen? „Wir haben auf die Kirrmöglichkeit im Speckgürtel hingewiesen, so dass wir als Forstbetrieb die Hand auf den Bezirken im Inneren haben.“ So lasse sich organisieren, wer wann wo jagt. „Das hat gut geklappt“, sagt er. Zudem werden über 80 Prozent der Wildäcker im Rotwildgebiet jagdlich beruhigt. Außerdem definierte Dr. Kutscher mit seinem Team eine Wildruhezone von 40 Hektar. „Das möchte ich noch ausbauen.“ Eine der jagdberuhigten Flächen ist das Liesbachtal im Salzforst. Einst eine geschwungene, offene, vom Wald umschlossene Talsohle, in der das Wild äste. In den vergangenen Jahren vereinnahmte der Wald das Tal. „Wir haben die Bestockung auf gut zwei Kilometer Länge zurückgenommen“, sagt Kutscher. Entlang des Bachs bildet der Wald nun sanfte Bögen, die Deckung und Schutz bieten. Frisch gepflanzte Obstbäume säumen das Ufer. Einzeljagd, Nachtjagd und Pirschjagd sind dort tabu. Geplant ist, dass sich ein ortsansässiger Landwirt um die Flächen kümmert. Ein Schnitt fürs Vieh, der Rest bleibt dem Rotwild. „Ich will einen Wald mit Wild. Und keinen wildleeren Wald. Der Bestand muss jedoch waldverträglich angepasst sein“, konstatiert Kutscher.

Im Liesbachtal haben Dr. Michael Kutscher und Philipp Bausch von den BaySF Platz fürs Wild geschaffen.
Im Liesbachtal haben Dr. Michael Kutscher und Philipp Bausch von den BaySF Platz fürs Wild geschaffen.

Steht der große Wurf fürs Rotwild bevor?

Bei der zuständigen Rotwildhegegemeinschaft Bayerische Rhön stößt das auf offene Ohren. „Wir begrüßen den Vorstoß sehr“, sagt Harm Humburg, der Vorsitzende. Das einzige Manko: Die Hegegemeinschaft zieht sich über die drei Landkreise Rhön-Grabfeld, Bad Kissingen und Main-Spessart. Und: „Das was die Staatsforsten abdecken, sind weniger als zehn Prozent der Rotwildgebiete unserer Hegegemeinschaft.“ Humburg denkt groß: „Wir wollen ein überregionales Konzept.“ Die Chance besteht derzeit in Form eines Pilotprojekts, bei dem die Politik mitzieht.

Das kommt auch bei den betroffenen Kreisgruppen an. Der Bad Kissinger Vorsitzende, Helmut Fischer, sagt: „Die Stellschrauben sind die richtigen. Aber es braucht eine große Lösung und die Rotwildgebiete müssten fallen, um einen genetischen Austausch sicherzustellen.“ Humburg fügt an: „Uns ist daran gelegen, ein Konzept zu haben, bei dem alle mitziehen. Wenn das funktioniert, weiten wir das Konzept auf die gesamte Rotwildhegegemeinschaft mit fast 90.000 Hektar aus. Die Ideen vom Forst passen wunderbar rein.“ Ohne Diskussion wird das wohl nicht ablaufen. Welche Fraktion bei welchen Punkten wie weit mitgeht? Das ist derzeit noch Gegenstand der Debatte.

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