Waidgerechte Saujagd? Tellerschüsse bei Schwarzwild

Die Zunahme des Schwarzwildes und die damit einhergehend intensive Bejagung auf den Schadflächen verleitet manchen Jäger zum Tellerschuss. Jedoch kann dieser dem Wild großes Leid zufügen.
Marek-schwarzwild
Ist ein Tellerschuss beim Schwarzwild waidgerecht oder birgt er ein zu hohes Risiko?

Nicht selten sind für den Schützen nur der Kopf und der obere Teil des Wildkörpers zu sehen, wenn das Stück Schwarzwild im Getreide steht – kleinere Frischlinge werden oft nicht bemerkt. Oft muss man einige Zeit warten, um einen sauberen Schuss antragen zu können. Die weite, unübersichtliche Deckung durch die Feldfrüchte Mais, Raps und Getreide beeinträchtigen oder vereiteln nicht selten die (Nach-)Suche und Bergung des beschossenen Wildes.

Eine annehmende Sau würde zudem in dem dichten Bewuchs den in Sicht und Bewegung stark beeinträchtigten Waidmann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eher „alt aussehen“ lassen. Und dann ist da noch die Sache mit dem Verhitzen. Eine Nachsuche beim ersten Licht würde das um Mitternacht anvisierte Wildschwein bis zum Eintreffen der Jäger sicherlich nicht mehr für den menschlichen Verzehr zulassen.

Ein ganzer Katalog scheinbar plausibler Argumente, der den so oft an Jägerstammtischen propagierten und leider auch dann in der Praxis angewendeten Schuss hinter den Teller auf das Schwarzwild auszuprobieren, empfiehlt.

Tellerschuss: Vorhersehbare Probleme werden oft vergessen

Wenn es dann einmal geklappt hat und die Sau an den Platz gebannt wurde, kann sich der Kunstschütze auch noch des Lobes erfreuen, dass man beim Zerwirken des Wildes kein unnötig zerschossenes Wildbret verwerfen müsse. Der Schütze kann sich als wahrer Meister feiern lassen, dass er ein so kleines Ziel zu treffen in der Lage war: Denn das wirklich tödliche Ziel, das Gehirn der Sau, ist in der Tat nicht größer als ein Bierdeckel!

Doch ist das nicht schon schwer genug, bauen sich einige eingefleischte „Schwarzwildjäger“ häufig Kanzeln mit wenigstens 10 Metern Bodenhöhe, um auf jeden Fall aus dem verräterischen Küselwind zu sein. Doch vergessen viele bei einer sehr geringen Schussentfernung die Abweichung der Geschossflugbahn zur Visierlinie. Diese ist bedingt durch die Höhe der Zielfernrohrmontage, der geringen Entfernung zum Ziel und des extremen Schusswinkels mit 5-10 Zentimetern schon beachtlich.

Schwarzwild: Halswirbelsäule fällt nach unten ab

So ist rein statistisch gesehen die Wahrscheinlichkeit den Bereich des Gehörgangs mit dem dahinter liegenden Gehirn zu treffen deutlich kleiner als das ewig lang erscheinende Gebrech oder die hinter dem Schädel liegende dicke Muskelpartie des kurzen kompakten Trägers. Der Durchschuss der Halswirbelsäule ist bei Sauen ab Überläufergröße nicht berechenbar, da sie gleich nach dem Atlaswirbel nach unten abfällt und auf keinen Fall mittig in dem stark muskulösen Träger zu erwarten ist, wie etwa beim Reh.

Die Skizze zeigt deutlich, wie stark die Wirbelsäule beim Schwarzwild abfällt. Ebenso wird die Größe der beiden Trefferbereich im Verhältnis deutlich.
Die Skizze zeigt deutlich, wie stark die Wirbelsäule beim Schwarzwild abfällt. Ebenso wird die Größe der beiden Trefferbereich im Verhältnis deutlich.

Oberhalb der Wirbelsäule ergibt der Schuss einen verheerenden Wildbrettreffer ohne allerdings größere Blutgefäße zu verletzen. Ein Treffer unterhalb derselben zerschießt Drossel und Schlund. Im günstigsten Fall gehen Geschosssplitter in die Halsschlagadern, die dann über die zerfetzte Drossel in die Lunge ausblutet. Sollte der Schweißhund Bindung an die kranke Sau bekommen, kann sich die daraus ergebene Kurzatmigkeit positiv auf die Hetze auswirken.

Tellerschuss: Wenige Zentimeter sind entscheidend

Krellschüsse im Bereich der Halswirbelsäule sind i.d.R. die Folge von missglückten Tellerschüssen, die im Brustwirbelbereich oftmals durch einen Beschuss von Stücken in hoher Deckung. Der Schütze zielt instinktiv höher, um zu vermeiden, dass sich das Geschoss an der Deckung vorher zerschlägt.

Zudem wird vom unerfahrenen Jäger oft übersehen, dass die Wirbelsäule beim Wildschwein aufgrund seiner anatomischen Besonderheit sehr viel tiefer liegt als bei anderem Schalenwild. Beim Krellschuss handelt es sich im Prinzip um einen mehr oder weniger starken Randtreffer oder Wildbretschuss – mit all seinen Konsequenzen für die anstehende Nachsuche!

Pirschzeichen nach dem Tellerschuss am Anschuss

Am Anschuss können reichlich längere, oben gesplissene Borsten aus dem Kamm, die sogenannten Federn, liegen. Je nach Treffersitz sind diese ohne Haarwurzel, also abgeschossen, oder mit den hellen Haarwurzeln, eventuell sogar büschelweise mit ganzen Schwartenfetzen, wenn sie aus der Schussverletzung herausgerissen wurden. Da die Sommersau aber nackt ist, bzw. erst die Borsten nachschiebt und kurz geschoren erscheint, fehlen dem Schweißhundführer diese Pirschzeichen.

Schweiß, kleine Wildbretteilchen oder Krümel von Weißem, selten Knochensplitterchen von den Dornfortsätzen können zusätzliche Pirschzeichen sein, die allerdings häufig übersehen werden. Der Schweiß ist heller Wildbretschweiß. Auf dem Anschuss finden wir ihn nur, wenn die Sau aufgrund einer massiven Schussverletzung durch die Dornfortsätze nahe der Wirbelsäule schlagartig zu Boden geht, um sich dann auf der Stelle schlegelnd zu drehen.

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Streift die Sau auf ihrer anschließenden Flucht keinen Schweiß an einem Ast ab, verläuft die gesamte Wundfährte nahezu schweißfrei. Der Grund: In der Rückenmuskulatur befinden sich keine größeren Blutgefäße und der anfangs wenige Wildbretschweiß läuft in der Wundhöhle zusammen.

Schwarzwild zeichnet im Schuss unterschiedlich

Schwarzwild, aber auch anderes Schalenwild, zeichnet auf einen Krellschuss hin sehr unterschiedlich. Von einem nicht zu bemerkenden Rucken beim Streifschuss, über kurze Unsicherheit beim Abspringen, wenn der Schuss die Dornfortsätze streift, bis hin zum plötzlichen Zusammenbrechen in Folge eines Treffers nahe der Wirbelsäule.

Je nach Kaliber, Stärke der Sau, Verletzung und Schlag auf das zentrale Nervensystem bleibt das beschossene Stück Sekunden oder sogar Minuten liegen, um sich dann schlegelnd im Kreis zu drehen, bis es vorne wieder hoch wird, sich dann fortschleppt, bis es sich plötzlich ganz erhebt, um dann schlussendlich zu flüchten.

Warum sofort nachschießen die Devise ist

Der erfahrene Schütze repetiert im Schuss und bleibt beim sofortigen Zusammenbruch noch eine Zeit lang mit dem Absehen auf dem Stück. Beginnt es zu schlegeln, muss sofort und ohne Rücksicht auf eventuelle Wildbretverluste nachgeschossen werden. Die Erfolgsaussichten einer Nachsuche auf ein gekrelltes Stück sind deutlich unter 50 Prozent und verlangen nach einem sehr erfahrenen Gespann! Die Nachsuche sollte erst nach einer längeren Stehzeit erfolgen, um das Stück richtig krank und steif werden zu lassen. Die zu erwartende Fährtenlänge hängt sehr vom einzelnen Stück, von der Schwere der Verletzung und der Nähe eines geeigneten Einstandes zum Einschieben ab.

Gebrechschuss: Zu weit vorne abgekommen

Ähnlich sieht die Situation bei Gebrechschüssen aus. Sie entstehen zum einen ebenfalls aus missglückten Tellerschüssen, aber auch bei Bewegungsjagden, wenn das Vorhaltemaß oder das Mitschwingverhalten nicht passen. Das beschossene Stück zeichnet von Kopfschütteln – bei Treffern vorn oder tief am Unterkieferast – bis zum Rollieren, wenn das Geschoss kurz vor den Lichtern den Oberkiefer durchschlägt.

Die Pirschzeichen am Anschuss sind oft nur spärlich bis fast gar nicht vorhanden. Weniges kurzes Schnitthaar oder Borsten, wenig heller Wildbretschweiß, manchmal auch Speichelfäden und Teile von Lecker, Kieferknochen oder Zähnen.

Gebrechschuss
Bei Gebrechschüssen findet man am Anschuss häufig Zähne, Teile der Nasenscheidewand oder Teile des Leckers.

Geringe Chancen bei der Nachsuche

Äser- und Gebrechschüsse zählen zu den schwierigsten Nachsuchen und sind leider häufig erfolglos. Die Wundfährte verläuft gerne – und auch ganz typisch für diesen Treffersitz – auf Wegen, Straßen oder Freiflächen, denn das kaputte Gebrech schmerzt bei jeder Berührung mit Ästen. Aufgrund der lose baumelnden Kieferknochen findet sich der schmierige Wildbretschweiß beidseits der Fährte verspritzt.

Die Riemenarbeit ist oft sehr lang, denn das kranke Stück will erst einmal Distanz zum Verfolger aufbauen, bevor es sich einschiebt. Immerhin ist die gebrechkranke Sau ihrer Waffen beraubt. Kommt es durch die hoch konzentrierte Arbeit des erfahrenen Gespannes zur Hetze, geht diese oft ins Blaue, da sich die Stücke selten stellen: Alle vier Läufe sind in Ordnung, der „Maschinenraum“ ebenfalls. So gesehen, sind die Stücke „gesund“, können sich aber nicht wehren und suchen daher das Heil in der Flucht.

Schwarzwild: Nachsuche nach dem Krellschuss

Vorstehschützen einsetzen

  • Bei wirklich schweren Schüssen hat der schnell und scharf hetzende Hund gute Chancen, das kranke Stück bis zum Fangschuss zu stellen, bei leichteren Schwartenfetzern wird das Gespann am sichersten auf den Einsatz versierter Vorstehschützen zurückgreifen, die an bekannten Wechseln aus dem angesuchten Einstand unter Wind vorgestellt werden.
  • Ist die kranke Sau im Vorfeld der Nachsuche durch eine Vorsuche um den vermuteten letzten Einstand bestätigt, darf auf gar keinen Fall vergessen werden, einen Schützen am Einwechsel zurückzulassen. Dieser Platz ist meist der erfolgversprechenste, verlässt doch die gekrellte Sau meistens weit vor dem Gespann den Wundkessel und versucht unter Legen von Widergängen und Schleifen den Verfolger zu beschäftigen, um sich dann über den bekannten und für sicher gehaltenen Einwechsel zu empfehlen! 
  • Der Schweißhundführer vergattert – und dies kann aus gutem Grund nie oft genug gesagt werden – die Vorstehschützen, weder auf gesundes Wild, noch auf das vom Hund gestellte Stück zu schießen. Viel zu groß wäre im letzten Fall die Gefährdung der Sicherheit. 

Kommt das Gespann nicht an die kranke Sau, können nochmals nach ein paar Tagen sämtliche Gewässer des Einstandes abgesucht werden, denn die kranken Stücke suchen aufgrund des Wundfiebers die Wassernähe. Zerbissene Teile von Binsen, schweißige Spuren an Kirrungsbarren, die aus der wieder aufgebrochenen Wunde herrühren, zeigen dem Kundigen die Anwesenheit einer gebrechkranken Sau an.

Nimmt das Fieber zu, die Kondition der hungernden Sau ab und machen sich Fliegenmaden in der Wunde breit, die für eine schleichende Blutvergiftung sorgen, irren diese leidenden Kreaturen nicht selten tagsüber sogar auf Straßen oder in Dörfern umher und verlieren jegliche Scheu. Wildunfälle oder Verletzungen durch das annehmende Stück sind die logische Konsequenz!

Kritik am Tellerschuss: Verrohung der Waidgerechtigkeit und abnehmender Tierschutz

Als Berufsjäger und Schweißhundeführer, dessen Haupteinsatzgebiet vom Schwarzwild und dessen intensiver Bejagung bestimmt ist, bin ich einiges gewohnt: Wehrhaftes Wild, geschlagene und getötete Hunde, verwaiste Frischlinge an ihren gefundenen Müttern, Schützen, die auf willkürliche Stücke aus jeder Lage und auf jede Entfernung bei Erntejagden schießen, um der Landwirtschaft zu gefallen, sind schon mehr als gewöhnungsbedürftig. Nachsuchen auf von Maden angefressene Wildtiere, die ihrem Schicksal fahrlässig oder zunehmend vorsätzlich überlassen werden, sind ein anderes, schmerzliches und wütend machendes Kapitel, das leider dort, wo die Sauen mehr werden und Schaden verursachen, schnell und respektlos hingenommen wird.

Die Verrohung der Waidgerechtigkeit und die Einstellung zum Tierschutz nehmen leider geradezu proportional zur Strecken- und Schadensentwicklung ab. Der Schuss auf den Teller hat keine Vorteile! Der waidgerechte Schuss gehört auf die Kammer! Sitzt dieser Schuss, aus welchen Gründen auch immer, nicht auf der „10“, hat er dennoch genug Platz nach vorne, oben, unten und hinten, um die anstehende Nachsuche mit einem riemenfesten Nachsuchenhund zu einem hohen Prozentsatz erfolgreich zu beenden.

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