Schon nach den ersten noch sehr verhaltenen Fieptönen steht wie hingezaubert ein tiefschwarz gefärbtes Reh vor mir. Vom unerwartet schnellen Anblick ergriffen, dauert es ein bisschen, bis ich die Kamera für die ersten Aufnahmen startklar habe. Eine glänzend schwarze Geiß zieht langsam in Richtung meines Blattplatzes, den ich auf einem niedrigen offenen Hochsitz an einem Schneisenkreuz gewählt habe. Von hier aus sind nicht nur die mit Gras bewachsenen Sandwege einsehbar, sondern zum Teil auch die dicht bewachsenen Forstflächen. Hier sollen gleich drei schwarze Rehböcke ihren Einstand haben, versicherte mir mein Kollege, als er mich abgesetzt hatte. Endlich finde ich die Zeit, seiner schon seit vielen Jahren ausgesprochenen Einladung nachzukommen, die schwarzen Rehböcke im Schaumburger Forst bei Bückeburg zu erleben.

Historische Beschreibung
Pastor Paulus zu Möllenbeck
„Schwarze Rehe halten sich in der Grafschaft Schaumburg hauptsächlich nur im Ottenser Forst auf. Einige haben sich in die angrenzenden hessischen und bückeburgischen Waldungen wahrscheinlich nur verirrt. Im Jahre 1771 war nur noch ein einziger schwarzer Bock bey drey rothen Geißen im Ottenser Forste. Wäre diesem, und wie leicht hätte das nicht geschehen können (!) ein Unfall begegnet, so war´s um die ganze Mohrenrace geschehen! Doch es ging glücklich. Er beschlug rüstig seine rothen Gattinnen, der neue Förster kam mit Heegen zu Hülfe und nun bestehe der dortige sehr ansehnliche Rehbestand vielleicht zum dritten Theile aus schwarzen Rehen.
Sie sind glänzend rabenschwarz und haben nicht gelbe … sondern auch schwarze Spiegel … An Größe sind die erwähnten ganz schwarzen Rehe von den gewöhnlichen garnicht verschieden, und außer allem Zweifel ist´s, daß sie auch mit den letzteren sich begatten. Denn wie hätten sonst so viele jetzt vorhandene Rehe von dem einzigen noch übrig gebliebenen Bock entstehen können? Auch hat der dortige Förster sehr oft rothe Geißen mit zwey schwarzen und schwarze Geißen mit zwey rothen Kälbern gesehen – auch rothe sowohl, als schwarze mit einem rothen und einem schwarzen Kitzchen gesehen. Selbst Schecken, halb rot und halb schwarz, sind nichts seltenes …“
Begehrte Jagdbeute mit Seltenheitswert


Erfolg trotz Beerensammlern


Ausgerichtet auf den von mir vermuteten Bereich, wo der Bock erscheinen müsste, beginne ich mit dem Fiepen. Sofort bemerke ich die typischen Laute, wenn ein Bock nah springt. Diesmal jedoch von hinten. Es ist unmöglich, die Kamera jetzt zu drehen. Es gelingt nur ein Blick über die linke Schulter, bei dem ich auf wenige Meter in die Lichter eines echten Moorbocks schaue! Die Luft knistert aufgrund unserer beider Anspannung. Meine verzerrten Halsmuskeln schmerzen bereits. Wer sich bewegt, hat schon verloren! Nur leider war ich nicht der Gewinner des Duells.
Besondere Herausforderung

Gegen Abend verschlechtern sich im Bestand zunehmend die Lichtbedingungen. So ziehe ich an den Waldrand, denn auch die Felder und Wiesen um den Forst sind wunderbar kleinstrukturiert. Fast überallhin kann ich weit genug sehen, sodass mich ein Bock diesmal keinesfalls überraschen kann. Nach einigen Fiep-Serien und einer gefühlten Ewigkeit räume ich schon gedanklich den Stand, da erscheint suchend ein roter Bock unter dem Waldtrauf. Mir gelingen einige Bilder, doch irgendetwas macht mich stutzig.
Der Bock ist verschwunden. Beim Betrachten der Bilder fällt mir auf, dass dieser Bock anders aussieht als alle mir bis dahin bekannten roten Böcke. Sicher gibt es regional Unterschiede, wie Rehböcke gefärbt sind. Insbesondere die Gesichtsfärbung kann stark variieren. Zudem sehen rote Rehböcke in Deutschland anders aus als in Spanien oder Schweden. Doch dieser Bock war anders. Wenig später bekam ich nicht nur eine Erklärung, sondern konnte die Erläuterungen später an der Wildkammer an einem erlegten Bock sogar intensiv betrachten.


Hexenringe um den Drückjagdbock
Am nächsten Morgen versuche ich es ein weiteres Mal an dem Platz, wo mir mein erstes schwarzes Stück begegnete. Nach den ersten Fiep-Lauten registriere ich eine Bewegung an dem etwa 150 m entfernten Drückjagdsitz. Das Fernglas bestätigt die Vermutung. Auf mein Blatten hin treibt ein schwarzer Bock seine rote Geiß. Nun ist mir klar, warum der alte Teufel sich nicht verführen ließ! Doch auch jetzt haben meine Blattkünste nur den Effekt, dass er dadurch aufgeheizt die Geiß unermüdlich treibt.
Nach einigen Runden lassen sich beide unter dem Bockgestell des Sitzes im Gras nieder. Der Wind ist perfekt, das nun goldene Licht der Morgensonne ebenfalls. Also, runter vom Sitz und versuchen, den beiden näher zu kommen. Doch von unten sieht die Welt gleich ganz anders aus – ich verfluche die üppige Vegetation. Es gelingt mir, bis zu einer starken Eiche zu kommen, die mir Deckung und die Möglichkeit gibt, anzustreichen. Zwei zarte Sprengfiep reichen, um den schwarzen Spießer aus seinem Lager sausen zu lassen.

Weitere leise mit dem Mund hervorgebrachte Laute bewegen den Bock, sich etwas umzustellen und ihn „ins rechte Licht“ zu rücken. Nur wenige Sekunden bleiben für die Fotos, ehe sich auch die Geiß erhebt und mit ihm in hohen Brombeerranken untertaucht. Wenige Tage später hat sich ein Jagdgast auf eben diesen reifen schwarzen Spießer am Forstamt angekündigt. Leider blieb er aber verschwunden. Eine „Alternative“, die ein umsichtiger Pirschführer immer haben sollte, führte dennoch zum erhofften Waidmannsheil. So besteht Grund zur Hoffnung auf eine erneute Begegnung mit dem schwarzen Teufel von Bückeburg in der kommenden Blattzeit.
Schwarzes Rehwild
Schwarz macht schlank
Der erste optische Eindruck, dass schwarze Rehe schwächer im Wildbret sind als normal gefärbtes Rehwild, trifft nicht zu. Die Gewichte sind bei vergleichbaren Stücken nahezu identisch. Man muss aber zugeben, dass ein schwarzes Reh mit glatt anliegender, glänzender Decke häufig schlanker wirkt als ein rotes Stück. Schwarz macht eben schlank! Allerdings fehlen einem Rehwildjäger für die Altersansprache wichtige Details. Insbesondere die Gesichtsfärbung fällt als Ansprechmerkmal komplett aus. Durch die intensive schwarze Farbe werden auch Merkmale am Gebäude stark kaschiert. Man kann sich folglich nur mehr auf die Gehörnmerkmale verlassen oder versuchen, seine schwarzen Stücke im Bestand durch regelmäßige Begegnungen und Aufzeichnungen kennen und differenzieren zu lernen.