Hundeführer im hohen Alter: Ein 90-jähriger Jäger mit Passion

Wann ist man zu alt, einen Hund jagdlich zu führen? Da hat jeder seine eigene Meinung. Doch die wenigsten würden glauben, wie lange es wirklich noch geht. Bühne frei für Fritz Kramer.
Jagen im Alter
90 Jahre alt und jagdlich aktiv. Dass das funktioniert, beweist Fritz Kramer eindrucksvoll.

Die Muskeln von „Ilian“ zittern, er bewegt sich keinen Millimeter. Was er fixiert, scheint nur er zu sehen. Bis eine Fliege vom Teppich steigt und der Deutsch-Kurzhaar-Rüde nach vorne springt. „Der will arbeiten“, lacht Fritz Kramer und zieht seinen Hund wieder an den Polstersessel.

In dem kleinen Wohnzimmer in einem Ort mit 75 Einwohnern lebt mit Fritz und „Ilian“ eines der ältesten Jäger-Hund-Gespanne Niedersachsens. Dabei liegen 99 % der Erfahrung auf Kramers Seite. Der Landwirt ist 90 Jahre alt.

Der lange Weg zum eigenen Hof

Ursprünglich stammt Kramer aus Prignitz, just auf der östlichen Seite der Elbe. Schon Vater und Großvater waren Jäger und führten Hunde. Ganz besonders hatte es dem kleinen Fritz damals „Juno“ angetan, der Deutsch Kurzhaar seines Onkels. „Ein toller Hund“, schwelgt er in Erinnerungen.

Doch als die Sowjets begannen die DDR zu formen, war die Familie Kramer früh von den Änderungen betroffen. Als landbesitzende Bauern wurden sie zunächst enteignet und einige Jahre später dann in die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft, die sogenannte LPG, integriert. Spätestens jetzt war dem drahtigen Jungbauern klar, dass es hier keine Zukunft mehr für ihn gibt.

„Ich wollte immer meinen eigenen Hof, da stand schnell fest: Wir machen rüber“, erzählt Kramer. Gut, dass er von 1949 bis 1952 schwarz im Westen seine Ausbildung zum Landwirt machte. Gemeinsam mit seiner Frau ging es 1961, damals war über Berlin noch die Flucht möglich, nach Celle. 1973 kauften sie dann ihren Hof in Brockhimbergen im Landkreis Uelzen.

Spätzünder wider Willen: Die Arbeit geht erstmal vor

In den ersten Jahren war an Jagd nicht zu denken. „Wir haben immer 50 bis 60 Stunden in der Woche gearbeitet, auch 80 waren keine Seltenheit“, erinnert sich Kramer. Ende der 70er-Jahre, als der Hof lief, konnten die Zügel etwas lockerer streifen. Kramer pachtet zwei Reviere rund um den Hof, insgesamt rund 600 Hektar.

Jagd ohne Hund ist Schund

Da Jagd und Hund für den begeisterten Rehwildjäger zusammengehören, kommt der erste Hund, ein Deutsch-Drahthaar, auf den Hof. 2021 starb „Ilians“ Vorgänger, „Beryl“, plötzlich an Krebs. Den Deutsch-Kurzhaar hatte Kramer zehn Jahre geführt. „Die Trauer lag wie ein Tuch über dem Hof“, erzählt der Sohn, Fritz Junior.

Der ruhige Hund konnte sich auf vielen Jagden bewähren. So mancher Jäger hätte mit 90 Jahren, vier Hunden und einem plötzlichen Verlust gesagt, es reicht. Doch für Fritz Senior stand fest: Ein Hund muss her.

Junghund versus Blumenbeete

Gesagt getan, wenig später stürmte „Ilian“ auf den Hof. „Der hat direkt die Blumenbeete meiner Frau zerlegt“, lacht der Altenteiler. Schnell ist klar, wie viel Energie in dem Rüden steckt. Als Welpe beginnt bereits die Ausbildung in der Jägerschaft Lüneburg. Eigentlich wäre Fritz bei der Jägerschaft Uelzen gelandet, doch die treffen sich Sonntagmorgens. „Da ist Frühschoppen“, grinst er. Also Lüneburg, die treffen sich Montagabends. Ein glücklicher Zufall. Unter Hundeobfrau Kristine Hedder formt sich „Ilian“ schnell zu einem echten Jagdhund.

„Verlorensuche, Schweiß, Schleppe und Wasserarbeit haben wir mit Bravour gemeistert“, erzählt Kramer stolz. Eigentlich sollte die bestandene Solms die Letzte sein, denn so ganz kann selbst der vor Lebenslust sprühende Altlandwirt die Jahre nicht von sich weisen. „Problem war da noch der Gehorsam“, erläutert er, während „Ilian“ mit Elan meine Schnürsenkel zerknabbert.

Ein Jahr voller Arbeit

Doch das ist kein Problem mehr. Ein Jahr hat Kramer jeden Tag ein bis zwei Stunden mit „Ilian“ gearbeitet. Inzwischen gehorcht er, wenn auch sein explosionsartiges Starten beim ersten Anzeichen von Arbeit zeigt, wie ungern der Deutsch-Kurzhaar wartet.

Ein Silbrig glänzender Torpedo im Feld

Fritz Junior lässt eine leicht lädierte Ente durch die Luft segeln. Aufs Kommando schießt „Ilian“ los und apportiert den Erpel tadellos. „Ist das nicht toll?“, strahlt Senior und lässt die Ente selbst noch mal fliegen. Inzwischen hat der Rüde auch die Verbandsgebrauchsprüfung. Das reicht dem Führer. „Ich will einen brauchbaren Jagdhund, mehr nicht“, erläutert Kramer.

Zusammen gehen beide viel auf den Ansitz, hin gezuckelt auf dem 460 PS John-Deer-Schlepper. Aber auch auf Treib- und Drückjagden bewies „Ilian“ schon, dass junger Hund und alter Mann sich nicht ausschließen. „Der älteste Jäger und der verrückteste Hund“, lacht Kramer, während „Ilian“ wilde Kreise um ihn zieht.

Ob er sich nicht manchmal Sorgen mache, wenn sein Vater mit so einem Energiebündel rauszieht? „Absolut nicht“, antwortet Fritz Junior. Der 60-Jährige hat eine Absprache: Sobald es nicht mehr geht, soll er es Senior sagen. Direkt und ungeschönt.

Doch das scheint noch nicht absehbar zu sein, sieht man, wie energisch der schmale Rentner „Ilian“ übers Feld leitet. „Deren Jagd ist noch nicht vorbei“, brummt Junior.

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