Wie ein US-amerikanischer Soldat zum Waidmann wurde

Nach einer Verwundung im Irak stand für ihn mehr auf dem Spiel als „nur“ seine Gesundheit. Wie der Jagdschein Al Louangketh half.
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19. März 2023
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Auch die Jagd auf Niederwild fasziniert den gebürtigen US-Amerikaner.
Auch die Jagd auf Niederwild fasziniert den gebürtigen US-Amerikaner.

Ich blickte in den blauen Himmel und beobachtete zwei amerikanische Kampfhubschrauber, die über mir schwebten, ohne wirklich zu verstehen, warum ich zu ihnen hinaufschaute. Wie lange ich schon so dalag, wusste ich nicht. Plötzlich ertönten laute Rufe aus dem Funkgerät: „Ghost 7 ist am Boden, ich wiederhole, Ghost 7 ist am Boden!“ Langsam lichtete sich der Schleier vor meinen Augen. Ich spürte einen enormen Schmerz in meinem Kopf, meiner Brust und meinem linken Bein, als ich versuchte, mich aufzusetzen. Plötzlich drückte mich eine Hand wieder nach unten. „Wir brauchen ein Torniquet, um die Blutung zu stoppen!“ Das waren die Worte, die ich hörte, als ich wieder zu Bewusstsein kam.

Der Hinterhalt hatte mich am stärksten getroffen. An diesem Tag trug ich mehrere Schusswunden davon. Schwerwiegender waren jedoch die seelischen Verwundungen – die Last, mein Gewehr in Notwehr benutzt haben zu müssen. Zwei Jahre später fragte ich mich noch immer, ob ich geistig stark genug sein würde, um wieder eine Waffe in die Hand nehmen und schießen zu können – wieder in meiner Heimat jagen zu können. Eine Frage, auf die ich keine Antwort hatte.

Ein deutscher Arzt, der für die US-Armee arbeitete und Jäger war, riet mir, den deutschen Jagdkurs als Rehabilitationsmaßnahme zu absolvieren. Ich sollte so zu meiner Leidenschaft zurückkehren, eine gewisse Normalität erlangen und mich meiner Angst stellen. Dieser Arzt gab mir den Mut, den ich brauchte. Jagen und Fischen waren schon immer meine Leidenschaft gewesen. Ich wuchs in Boise, Idaho, im Nordwesten der Vereinigten Staaten auf. Bis zu meinem Eintritt in die US-Armee hatte ich mein ganzes Leben in der freien Natur verbracht. Auch während meiner militärischen Laufbahn habe ich versucht, so viel wie möglich meiner Passion nachzugehen. Als Soldat der US-Armee, der in Deutschland stationiert war, konnte ich an einem dreimonatigen und englischsprachigen Jagdkurs teilnehmen.

Er wurde von der US-Armeeeinrichtung Moral Welfare and Recreation in Bamberg organisiert. Der Kurs lehrte mich etwas, das ich vorher nicht kannte: die tiefgreifenden Werte und Ethik des deutschen Waidwerks. Der deutsche und der amerikanische Jagdausbilder wussten bis zum Ende des Kurses nichts von meiner Geschichte. Ich war nervös und hatte Angst, aufgrund meiner Erfahrungen aus dem Kurs entlassen zu werden. Das beeinträchtigte meine Schießkünste. Solange, bis ich anfing, mich zu öffnen und zu erzählen, warum ich den Kurs absolvieren wollte. Im Rahmen der Jagdausbildung eine Waffe in einer sicheren und kontrollierten Umgebung wieder in die Hand zu nehmen, half mir, den Mut zu fassen, meine Ängste und Befürchtungen beiseitezuschieben. Wie in einer Gruppentherapie mit Gleichgesinnten.

In Idaho erarbeitet man sich seine Maultierhirsche bei der Bergjagd.
In Idaho erarbeitet man sich seine Maultierhirsche bei der Bergjagd.

Tradition – eine Geschichte des Respekts

Für mich ist am deutschen Waidwerk das Markanteste, dass es mit viel Verantwortung verbunden ist. Die Verpflichtung, die Wildtiere ordnungsgemäß zu hegen und das erlegte Wild zu ehren, ist von größter Bedeutung. Es ist die traditionelle Art und Weise, wie deutsche Jäger vor, während und nach der Jagd handeln, die die meisten Menschen nicht sehen oder verstehen. Diese Verantwortung so wahrzunehmen, schätze ich sehr. Nachdem ich meinen deutschen Jagdschein erworben hatte, hatte ich das Glück, mit einigen engen Freunden auf die Jagd gehen zu dürfen. Sie haben mir viel über das Waidwerk beigebracht. Die Ge- und Verbote sowie traditionelle Bräuche und Höflichkeiten, die vor allem bei Gesellschaftsjagden zu erwarten sind, machten mir klar, dass die Jagd eine Möglichkeit bietet, nicht nur mit der Natur in Verbindung zu treten, sondern auch eine Brücke zwischen Menschen zu schlagen.

Der deutsche Jagdkurs ist eine wertvolle Wissensquelle und geht über das reine Erlernen des jagdlichen Handwerks hinaus. Er kann für jemanden auch eine Hilfe sein, sich von seiner Vergangenheit zu erholen. Die geschriebenen und ungeschriebenen Gesetze des deutschen Waidwerks zwingen einen förmlich dazu, das Beste in einem zum Vorschein zu bringen. Der große Respekt, den deutsche Jäger einander und der Jagd entgegenbringen, hat eine jahrhundertealte Geschichte. Dieser Umstand hat sich maßgeblich auf meine Einstellung zur Jagd ausgewirkt und mir geholfen, mit meinem eigenen Verständnis des Lebens fertig zu werden. Die Jagd hört nicht auf, nachdem der Schuss gebrochen ist. Es ist dieses Verantwortungsbewusstsein, das jedem einzelnen deutschen Jäger innewohnt, das meinen Respekt verdient hat. Der Prozess und das historische Verständnis, das in den Traditionen des deutschen Waidwerks verpackt ist, wie die Deutschen ihre Jagd und Jagdausbildung durchführen und lehren, hat mir die Augen geöffnet.

Als ich meinen ersten Rehbock erlegt hatte, war ich gewiss, das Richtige getan zu haben. Ihm den letzten Bissen zu geben und dafür zu sorgen, dass ihm der größtmögliche Respekt entgegengebracht wird, gab mir das Gefühl, meine Pflicht als Jäger erfüllt zu haben. Das ist etwas, was ich zuvor in Idaho nie empfunden habe. Nun verstand ich, warum deutsche Jäger die Jagd und das Wild auf diese Weise ehren. Heute bekommt jedes Stück Schalenwild von mir den letzten Bissen, egal wo ich jage. Zudem erlebe ich das, für das man im Alltag allzu oft das Bewusstsein verliert, die Wunder der Natur, heute mehr denn je mit allen Sinnen. Das hat mir geholfen, mit der Realität des Lebens zurechtzukommen und zu genießen, was einem gegeben ist. Es hat mir gezeigt, die einfachen Dinge des Lebens wieder schätzen zu lernen.

Die Pflicht, zu lernen und zu lehren

Als Jäger in Deutschland dem Waidwerk nachzugehen, gab mir ein Gefühl der Verpflichtung: Auch dann das Richtige zu tun, wenn niemand zuschaut. Die Jagd geht über das bloße Besteigen des Hochsitzes hinaus. Das Wissen, das ich durch die Beobachtung deutscher Jäger und vor allem meiner Jagdpächter gewonnen habe, hat mich viel gelehrt. Von ihnen zu lernen hat nicht nur meine Denk- und Handlungsweise beeinflusst. Es hat mir auch das Gefühl der Verantwortung gegeben, in ihre Fußstapfen zu treten und andere zu unterrichten.

Wenn ich über meine Erfahrungen schreibe und erzähle, wie positiv sich die Jagd in Deutschland auf mich ausgewirkt hat, weiß ich, dass dies einige Ängste in mir hervorrufen könnte. Aber es ist die Geschichte meiner Reise, die ich mit jedem teilen möchte, der dies liest und sich den Herausforderungen des Lebens stellen muss. Ich würde jedem, der es in Erwägung zieht, empfehlen, den Jagdkurs zu machen. Das Jagen und das Lernen über das Waidwerk sind für mich wie eine Therapie.

Egal, wie glücklich jemand von außen aussieht, wir werden nie wirklich verstehen, was er im Inneren erlebt. Manchmal kann ein Smalltalk mit jemandem dazu beitragen, die Leidenschaft wieder zu entfachen, die einst in seinem Leben verloren gegangen war. Nehmen Sie sich die Zeit, auf Ihrer nächsten Drückjagd ein Gespräch mit Fremden zu führen. Bei der Jagd geht es nicht nur um das eigene Bestreben, sondern um eine Reise, die uns durch das Leben vieler anderer führt, die ihre eigene Geschichte zu erzählen haben. Die Jagd gab mir mein Leben zurück. Sie war meine Flucht vor den Traumata, dem Stress und der Angst des Krieges. Es war meine Rückkehr zu einem normalen Leben durch die Ruhe der Natur, indem ich die Werte und wichtigen Dinge lernte, die die Jagd zu bieten hat. Sie hat mich aus meinen dunkelsten Stunden herausgeholt und mich dazu gebracht, die Dinge in einem besseren Licht zu sehen. Sie hat mich gerettet. Waidmannsheil!

Zum Autor

Al Louangketh

hat 20 Jahre in der Infantrie der US-Army gedient. Anschließend promovierte er im Fach Wildtierkunde an der Oregon State University. Zurzeit arbeitet er für Bergara Rifles International als Marketingkoordinator.

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