Rehwild mit der Kamera bestätigten: Fotopirsch im Revier

Wenn die Märzsonne den Schnee von den Feldern leckt und sich das erste Grün zeigt, lässt sich dort wunderbar Rehwild bestätigen…
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Vor Jahren begann ich damit, ab Mitte März so viele Böcke wie möglich in meinem Notizbuch festzuhalten. Neben der Beschreibung des Stücks fertigte ich auch kleine Skizzen an. Weil sich mein zeichnerisches Talent jedoch in Grenzen hält, kaufte ich mir schließlich eine analoge Kamera. Plötzlich waren selbst bei bekannten Stücken Dinge zu erkennen, die mir bis dahin beim Blick durchs 8x56er Doppelglas verborgen geblieben waren – geschlitzte oder abgetrennte Lauscher, eine dritte Stange oder ein trübes Licht beispielsweise. Man glaubt gar nicht, wie viele Rehe solche speziellen Merkmale tragen.

Mit ISO 6400 auf Rehbock-Jagd

Um Rehwild auch in der Dämmerung fotografieren zu können, benutzte ich in der Regel Diafilme mit einer Empfindlichkeit von ISO 800. Die waren zwar körnig, doch für meine Zwecke reichten sie völlig aus. Heute setze ich statt analoger Technik digitale Kameras wie die Canon 5D III mit dem Tamron 150-600 mm ein. Mit diesem Set ist es möglich, innerhalb weniger Sekunden auf wechselnde Lichtverhältnisse zu reagieren. Ein paar Knöpfe gedrückt, und schon werden Bilder mit ISO 6400 geschossen. So gelingen auch noch Bilder, wenn das menschliche Auge gerade so die Umrisse des Stücks erkennt.

Rehe in Entfernungen bis 300 oder 400 Meter abzubilden, ist mit Brennweiten von 400 Millimeter kein Problem. Bemerkenswert ist zudem der „Cropfaktor“. Mit ihm wird der Bildwinkel eines Objektivs an einer digitalen Spiegelreflexkamera in Relation zu einem Objektiv derselben Brennweite an einer analogen Kleinbildkamera beschrieben. In der Regel beträgt dieser „Brennweitenverlängerungsfaktor“ bei digitalen Spiegelreflexkameras 1,5 oder 1,6.

Die Brennweite eines 400-Millimeter-Objektivs wird beispielsweise durch einen Cropfaktor von 1,5 zum 600er, bei 1,6 zu 640 Millimetern. 600 Millimeter entsprechen dabei einer zwölffachen Vergrößerung. Selbstverständlich können die Aufnahmen am Computer später zusätzlich vergrößert werden.

Rehwild bestätigen im Feldrevier

Doch genug der technischen Details, kommen wir zum Bestätigen des Rehwildes. Am besten funktioniert die Fotomethode im Feldrevier. Denn die Stücke sind nicht nur den ganzen Tag in Anblick, sondern sie stehen in der Regel auch noch in Sprüngen zusammen.

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Ich beginne im März zunächst aus größerer Entfernung (300 bis 500 Meter) die ersten Aufnahmen des Sprungs zu machen. Ein Dreibeinstativ sorgt dafür, dass die Aufnahmen nicht verwackeln. Ist das nicht zur Hand, wird auf der heruntergelassenen Seitenscheibe des Autos – mit oder ohne Stativ –, auf dem Dach oder dem nächsten Hochsitz aufgelegt. Als Auflage eignet sich auch ein sogenannter Bohnensack, auf den die Kamera gebettet wird. Auf diesen ersten Fotos lassen sich schon einmal die Geschlechter erkennen.

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Danach wird der Sprung langsam gegen den Wind angepirscht. Je kleiner sich der Fotograf dabei macht, desto besser. Gute Erfahrungen habe ich gemacht, während des Anpirschens die Kamera samt Stativ vor den Körper zu halten und leicht gebückt zu gehen. Die Bewegungen müssen langsam und geradlinig sein. Sichert ein Stück, bleibt man so lange stehen, bis es wieder vertraut äst. Bewegt sich der Fotograf vorsichtig genug, kommt er leicht bis auf 100 Meter oder näher an die Stücke heran. Das hängt aber immer auch von den Geländestrukturen, dem Jagddruck und den Jagdmethoden ab.

Panisch flüchtendes Rehwild

Ich erinnere mich beispielsweise an ein Revier, in dem es nicht möglich war, sich den Stücken auf weniger als 400 Meter zu nähern. Die Gummipirsch mit dem Auto, bei Fotografen wegen der geringen Störung des Wildes und der Mobilität sehr beliebt, ging ebenfalls daneben. Die Rehe quittierten den Anblick des Autos auf dem Feldweg jedes Mal mit panischer Flucht.

Als ich den Pächter auf die Sache ansprach, verzog er das Gesicht und erklärte mir, dass er bei der Auswahl seines letzten Begehungsscheininhabers Pech hatte. Der habe sich nämlich weder an Freigaben noch an Abschusspläne gehalten. Aus dem Auto zu schießen sei für ihn vermutlich auch normal gewesen. Anders könne er sich das Verhalten der Rehe nicht erklären.

Wenn jedoch vernünftig gejagt wird, kommt man sehr nah an die Sprünge heran. So gelang es mir Anfang April des vergangenen Jahres, zehn Rehe auf dem Feld bis auf 70 Meter anzupirschen.

Der Zufall wollte es, dass auf der gegenüberliegenden Seite ein paar Spaziergänger mit Hund dafür sorgten, dass die Stücke unruhig wurden und auf mich zuzogen. Da ich sie nicht vergrämen wollte, legte ich mich flach auf den Rapsacker und hielt mir die Kamera vors Gesicht. Die „Leitricke“ machte zwar einen langen Träger, zog schließlich jedoch nur 25 Meter an mir vorüber. Die anderen Stücke folgten ihr.

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Ich nutzte die Gelegenheit und fotografierte die Stücke, vor allem den unbekannten Bock. Den hatte ich noch nie gesehen, glaubte ich.

Zuhause angekommen, lud ich die Bilder auf den Rechner und verglich den Unbekannten mit fünf Böcken, die ich im Vorjahr an derselben Stelle abgelichtet hatte.

Auf den ersten Blick war kein Bock dabei, der ihm ähnlich sah. Erst als ich Tage später noch einmal die Fotos betrachtete, fiel mir auf, dass er eine kleine Kerbe im rechten Lauscher hatte. Ich verglich die Bilder erneut und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus, denn ich hatte ihn tatsächlich schon als „schwachen Steinbruchbock“ gespeichert. Damals sah er jedoch noch ganz anders aus. Statt hoher Gabel rechts und Sechserstange links trug er ein schwach verecktes Sechsergehörn.

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Doppelgänger entlarvt

Ein anderes Mal fotografierte ich mehrere Tage hintereinander einen braven Sechser, der einmal jung und einmal etwas älter aussah. Erst am Computer erkannte ich, dass es sich um zwei verschiedene Böcke mit fast identischer Gehörnform gehandelt hatte. Ohne Fotoapparat hätte ich diese kleinen Unterschiede vermutlich niemals entdeckt. Ein angenehmer Nebeneffekt der Knipserei ist, dass man mit der Zeit seine Rehe „kennt“. Zudem ist es immer sehr interessant zu beobachten, wie sich ein Rehbock über Jahre hinweg entwickelt. Die sicherste Variante, das Alter eines Bockes richtig anzusprechen, ist übrigens, ihm als Kitz eine Ohrmarke zu verpassen (Tierschutz beachten!) oder ihn über Jahre zu fotografieren.

Einen Nachteil hat die ganze Fotografiererei: Wenn man erst einmal begonnen hat, Böcke abzulichten, die Bilder archiviert und die Entwicklung über Jahre verfolgt, fällt einem das Schießen zunehmend schwerer. Dem einen oder anderen begehrenswerten Sechser hat das schon das Leben gerettet. Nun ja, es gibt in diesen Zeiten sicher Schlimmeres als einen Rehbock auch mal alt werden zu lassen…

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