Kaliber für die Blattzeit: Welche Patronen eignen sich?

Die Auswahl an Patronen ist groß. Doch was braucht man wirklich für die Jagd auf brunftige Böcke? Manche meinen: nicht viel.
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29. Juni 2023
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Kleines (Reh)Wild, kleines Kaliber? Oder darf es doch ein bisschen mehr sein?
Kleines (Reh)Wild, kleines Kaliber? Oder darf es doch ein bisschen mehr sein?

Bei Kaliberfragen trifft man mit dem Spruch „vier Jäger, fünf Meinungen“ stets ins Schwarze. Selbst bei unserer kleinsten Schalenwildart, die fast überall vorkommt, relativ zartknochig ist und mit maximal 25 kg Lebendgewicht kaum ein Kaliber vor unlösbare Aufgaben stellt. Vielleicht ist es genau deshalb der Reiz, sich eher am unteren Rand der tauglichen „Murmeln“ zu bewegen. Mit der .222 Rem., die mit einigen Laborierungen gerade mal die geforderten 1.000 Joule auf 100 m erreicht, fängt es an. Andere schießen vom Rehbock bis zum Brunfthirsch alles mit nur einem Kaliber – das sind Klassiker wie .30-06, 8x57 IS oder 9,3x62. Wieder andere haben die Herausforderung, besonders große Schläge bejagen zu müssen und brauchen eine Patrone mit gestreckter Flugbahn. Ob nun im kleinkalibrigen Bereich eine .22-250 Rem., im Mittelfeld die .270 Win. oder gleich eine .300 Win. Mag. – es wird so ziemlich alles auf Reh geführt, was der Markt bereithält.

Überraschungseffekt und Adrenalin

In der Blattzeit ist ebenfalls alles möglich, genau das macht sie so spannend. Vom vertrauten Einstandsbock, der auf die Minute genau an immer der gleichen Stelle austritt, bis hin zum völlig unbekannten roten Ritter, der plötzlich zuwandert und den „Hausherrn“ fordert. Auch steht der Bock nach einem Fiepintervall manchmal ganz unverhofft vor einem. Dann muss es schnell gehen, vielleicht sogar mal durch hohes Gras. Da hilft Geschossmasse mehr als Rasanz! Andererseits sind brunftige Rehböcke hormonell aufgeputscht und quittieren einen Treffer anders! Nach dem Knall ist dann die Bühne leer und im günstigsten Fall das Stück im Schuss zusammengeklappt. Manchmal, das kann vom Kaliber oder auch dem Geschoss abhängen, sucht man Schusszeichen vergebens – dann wird es ernst. Denn kaum eine Wildart wird in Sachen Nachsuchen so unterschätzt wie das Reh!

Während sich Schwarzwild stellt, sucht Rehwild sein Heil immer in der Flucht. Bei unserer kleinsten Schalenwildart benehmen sich viele Jäger jedoch fahrlässig. Nach dem Motto „ist doch nur ein Reh, das bekomme ich schon“ wird vorgesucht und der Hund zur freien Suche geschnallt. Hält sich das beschossene Stück in der Nähe auf oder ist sogar bereits ins Wundbett gegangen, wird es vom Hund zu früh aufgemüdet. Das kranke Stück mobilisiert nochmal seine Kräfte und geht ab. Hat das Stück einen Treffer auf der Leber oder weich im Gescheide, hätte etwas Geduld gereicht. Denn dann geht es i.d.R. nach 200 m ins Wundbett. Nach etwas Zeit hätte man es „nur“ einsammeln müssen. Bei einem Krell-, Lauf-, Äser- oder Streifschuss ist das Reh hingegen noch mobil. Einige Schweißhundführer raten dazu, das Stück ebenfalls zur Ruhe kommen zu lassen. Das erhöht die Erfolgsaussichten, auch wenn in Fachbüchern noch geschrieben steht, dass sofort nach dem Schuss geschnallt werden soll.

Unbedingt ist auch das Territorialverhalten zu berücksichtigen. Denn das angeschweißte Reh wird sein Revier nicht verlassen – es wechselt hin und her, kreuzt die eigene Fährte und erschwert so dem Hund die Arbeit. Wenn das angeschweißte Stück nicht gefunden wird, sollte sich der Jäger in den nächsten Tagen im Einstand an Wechseln oder Äsungsstreifen, Kultur- und Wildackerflächen ansetzen. Dort kann man das Stück am ehesten antreffen!

Stimmen aus der Redaktion

In der Redaktion macht jeder so seine eigenen Erfahrungen mit seiner Jagdausrüstung. Hier ein paar Eindrücke, was funktioniert hat und was vielleicht nicht so gut.

Rasantes Leichtgewicht: .22-250 Remington

Als Pächter eines Feldreviers mit sehr gutem Rehbestand habe ich vor Jahren für meine Mauser M03 in .300 Win. Mag. einen Wechsellauf und den dazugehörigen Verschlusskopf in .22-250 Rem. angeschafft. Mich überzeugte die gestreckte Flugbahn der dickbäuchigen .22er. Die GEE des 3,25 g TM-Geschosses beträgt satte 222 m! Das war genau das, was ich für unsere großen Getreideschläge gesucht hatte. Bei Feldgrößen von 50 bis 100 ha und darüber sind oft Schüsse bis 200 m nötig. Weil ich viel mit der .22-250 Rem. auf Füchse jage, beherrsche ich die Waffe inzwischen blind. Das ist vor allem während der Rehbrunft ein großer Vorteil. Denn wenn der Bock aufs Blatt springt, muss es meist schnell gehen. Die Schussentfernungen sind dann i.d.R. eher gering (15 - 70 m). Dennoch möchte ich die flotte Amerikanerin (1.150 m/s) nicht missen. Warum? Weil nicht jeder Bock aufs Blatt springt.

Die .22-250 Remington ist für die Blattjagd im Feldrevier nahezu ideal.
Die .22-250 Remington ist für die Blattjagd im Feldrevier nahezu ideal.

Ich habe es schon oft erlebt, dass sich einer der alten Herren zwar einen Meter aus dem Maisschlag auf die Getreidestoppeln wagt, aber einfach nicht zum Zustehen zu bewegen ist. Ich hatte aber auch schon Böcke, die mich beim Blatten von der Seite überraschten und sofort absprangen. Stellen sie sich dann auf über 100 m nach dem Anschrecken doch nochmal breit, ist man mit der .22-250 bestens gerüstet. Das Schöne ist, dass man bei der Kombination aus schwerer, gut geschäfteter Büchse und kleinem Kaliber durchs Feuer schauen kann und sich das Absehen kaum aus dem Ziel bewegt. Einen Nachteil möchte ich nicht verschweigen: Die wenigsten Laborierung sind für Schalenwild geeignet! Sie sind der hohen Geschwindigkeit einfach nicht gewachsen bzw. zu weich. Die Tötungswirkung ist zwar hoch, die Wildbretentwertung aber auch. Seit Jahren benutze ich deshalb auf Rehwild das bleifreie Barnes VOR-TX (3,56 g) oder das Norma 3,56 g Oryx. Christian Schätze

Alles andere als Mittelmaß: .308 Winchester

Rehe habe ich mit allen möglichen Kalibern erlegt. Irgendwann bin ich aber bei der .308 Win. hängengeblieben. Nachdem dann noch Schalldämpfer möglich wurden und die Büchse trotz Overbarrel-SD immer noch führig sein sollte, kam ich an der „Kurzlauf“-Patrone nicht mehr vorbei. Wenn man beim Rehansitz auch mal mit Sauen rechnen muss, ist man trotzdem gerüstet. Beim Reh habe ich aufgrund der Wildbretzerstörung angefangen, mit den Geschossen zu experimentieren. 9,7 g TMS wirkten aufgrund von Geschossgeschwindigkeit und -konstruktion zu brutal. Am oberen Ende der Geschosspalette mit selbstgestopften Federal 14,3 g Hi-Shok angelangt, werden die Projektile für weite Entfernungen aber zu langsam, was sich im Geschossabfall und der Wirkung im Wildkörper (VM-Effekt) bemerkbar machte. Als reine Waldpatrone bis 100 m jedoch top! So pendelte sich mein ideales Geschossgewicht bei 10,7 bis 11,7 g ein.

Ungewöhnliche Blattjagd-Dublette dank .308 Winchester.
Ungewöhnliche Blattjagd-Dublette dank .308 Winchester.

Mit dem bleifreien Blaser 10,4 g CTC konnte ich gute, wildbretschonende Erfahrungen sammeln. Mittlerweile habe ich auf 11 g Geco Plus (Verbundkern) umgestellt, das noch ein bisschen präziser aus meiner Steel Action HS schießt und den Wildbretverlust ebenfalls minimal hält. Wichtig ist auch die Trefferlage! Hinters Blatt geschossen, gibt es selbst bei Kitzen hin und wieder Fluchten bis 40 m. Aufs Blatt gezirkelt, ist, wenn ein großer Knochen getroffen wird, doch recht viel kaputt. Deshalb favorisiere ich mittlerweile den Hochblattschuss, da wird die Lunge perforiert, und die Schockwelle überträgt sich bis in die Wirbelsäule/ Rückenmark, was i.d.R. zu blitzartigem Zusammenbrechen und Verenden führt; der Wildbretverlust ist auch gering. Sascha numßen

Langsam und bedächtig: .45-70 Government

Ich halte nichts von der Devise „Viel hilft viel“. Bei Kalibern schon gar nicht. Wie viele Rehe jedes Jahr von muckenden Jägern krankgeschossen werden, weil sie büffeltaugliche Kaliber auf Zehn-Kilo-Kitze führen, will ich nicht wissen. Aber: Ich führe regelmäßig einen Marlin Unterhebler M1895 in .45-70 Gov. auf der Blattjagd. Dieses Kaliber erlegte im 19. Jahrhundert sehr erfolgreich Nordamerikas Bisons. Ich verschieße die Hornady Lever Evolution FTX mit einem Geschossgewicht von 21,1 g. Eine Patrone davon sieht und fühlt sich an wie eine Zigarre. Also bin ich ein Heuchler? Nein, die .45-70 ist anders! Auf 100 m erreicht die Laborierung eine V100 von 625 m/s und bringt 2.829 Joule ins Ziel. Sie ist langsam und schwer. Während der Blattjagd im Wald hat die Kombination Vorteile.

Die .45-70 Gov. ist zusammen mit dem Rehblatter eine tolle Kombination!
Die .45-70 Gov. ist zusammen mit dem Rehblatter eine tolle Kombination!

Getroffene Rehe werden umgeworfen, die Augenblickswirkung ist beeindruckend. In dichten Forsten spare ich mir so Nachsuchen. Wenn ein getroffenes Stück doch abspringt, musste ich nie weiter als 35 m zum Todbett laufen. Treffer stanzen einen großen Ein- und Ausschuss, so läuft viel Schweiß. Das Treffen selber ist auch kein Problem – die Patrone haut nicht in die Schulter, sondern schiebt. Aus meiner Marlin mit Schalldämpfer ist die Laborierung sehr angenehm zu schießen. Ein Manko natürlich ist das Gewicht: Mit SD und ZF komme ich auf 4,7 kg. Ob das zu viel ist, entscheidet jeder selbst. Weitschüsse sollte man jedoch vermeiden. Bei 150 m fällt das Geschoss 11,2 cm ab. In der Wildkammer gibt es dafür keine bösen Überraschungen. Das schwere Geschoss verursacht weniger Schäden als eine rasante Bleistiftspitze wie die 5,6x50 R. Fokko Kleihauer

Nur eine Ausnahme: .222 Remington

Als ich vor 13 Jahren mit gerade einmal 14 Jahren die Jägerprüfung ablegte, war ich ein echter Hänfling. Ein Problem, große Kaliber zu schießen hatte ich zwar schon damals nicht, die .222 Rem. kam mir als Ausbildungswaffe trotzdem etwas entgegen. In der Folge stand mir die Blaser R93 meines Vaters im selben Kaliber für die Jagd auf Reh- und Raubwild sowie regelmäßige Schießstandbesuche zur Verfügung. Auch weil ich damit problemlos mal mehr Schuss machen konnte, ohne gleich über 100 Euro auf eine Pappscheibe verschossen zu haben. 2016 wurde ich dann nach langer Suche endlich fündig – eine .222er Krico Match zog bei mir ein. Seitdem ist sie für mich erste Wahl, wenn ich weiß, dass es Reh- und Raubwild gilt oder das Übungsschießen etwas länger gehen soll. In Baden-Württemberg dürfte ich sogar Frischlinge damit erlegen.

Mit der .222 Remington war dies mein letzter Blattzeit-Bock!
Mit der .222 Remington war dies mein letzter Blattzeit-Bock!

Und obwohl sie mit der von mir verwendeten Federal Power Shok (ein 3,2 g TM-Geschoss) gerade mal die Minimalanforderungen an ein Rehwildkaliber erfüllt, hat sie mich bis auf eine Ausnahme noch nie enttäuscht. Diese Ausnahme trug sich in der Blattzeit zu, als ich einen Rehbock beschoss. Denn trotz optimalem Treffersitz und Ausschuss fand sich weder am Anschuss noch im Verlauf der etwa 150 m langen Fluchtfährte, die in eine Dickung führte, auch nur ein Tropfen Schweiß. Die anschließende Nachsuche ohne Bestätigung bei 35 °C verlangte dem Hund trotz ihrer Kürze alles ab. Seitdem greife ich während der Blattzeit nicht mehr zur .222 Rem., denn für diese Zeit darf es dann doch etwas mehr sein. Ansonsten war ich mit Tötungswirkung, Wildbretentwertung und Präzision mehr als zufrieden. Letztere hat sich durch einen Schalldämpfer sogar nochmal verbessert. Rasso Walch

Newcomer aus Übersee: 6,5 Creedmoor

Längst hat sich die amerikanische 6,5 Creedmoor auch auf dem deutschen Markt etabliert. Und das meiner Meinung nach zu Recht. Auf 300 Meter liefert die Patrone in vielen bleihaltigen Laborierungen mehr als 2.000 j. Die meisten Bleifreie Laborierungen bringen diese Energie immerhin noch auf 200 Meter ins Ziel. Das ist absolut ausreichend, selbst für brunftige Böcke. Ich als Feldjäger brauche diese Leistung hinten raus, denn hier kommen Patronen wie die .222 Rem. an ihre Grenzen. Reserven zu haben ist also notwendig. Sollte sich während des Blattens doch mal die Chance auf Hochwild ergeben, bewegt man sich mit der 6,5 Creedmoor deutlich in den gesetzlichen Rahmenbedingungen zum Mindestkaliber. Und das, ohne viel Rückstoß, von dem ich wirklich kein Freud bin. Nicht, weil ich es nicht ertrage, sondern, weil ich das Wild zeichnen sehen möchte. Durch das Kaliber von 6,5 mm und die dazugehörigen Geschossgewichte lässt sich die Creedmoor sehr angenehm anschießen. Der Schalldämpfer tut sein Übriges.

Die 6.5 Creedmoor reiht sich erfolgreich zwischen etablierte Allrounder im mittleren und unteren Kaliberbereich wie die .308 Winchester und .243 Winchester ein.
Die 6.5 Creedmoor reiht sich erfolgreich zwischen etablierte Allrounder im mittleren und unteren Kaliberbereich wie die .308 Winchester und .243 Winchester ein.

Je nach Geschoss und Schussentfernung hält sich die Wildbretentwertung in Grenzen und ist mit einer .308 Winchester vergleichbar. Wenn es um die Weldbretentwertung geht, spielt meiner Erfahrung nach die Verwendete Patrone die größere Rolle als die einzelne Geschosskonstruktionen. Wer mit Kanonen auf Spatzen schießt, erntet in der Regel nicht mehr viel als ein paar Federn. Für die 6,5 Creedmoor gibt es mittlerweile zahlreiche Laborierungen am Markt. So ist für jeden – ob mit Blei oder bleifrei – etwas am Markt zu finden. Und das, obwohl die Patrone gerade einmal 15 Jahre alt ist. Aufgrund ihrer hohen Eigenpräzision ist sie für das sportliche Schießen äußerst attraktiv. Somit sind auch genügend Laborierungen für den Schießstand verfügbar. Das Training mit ihr ist also nicht so kostenintensiv, wie mit anderen Patronen. So macht nicht nur die Jagd mit der 6,5 Creedmoor Spaß, sondern auch der Schießstandbesuch. Phil Kahrs

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