Beschämt starren die beiden überall hin, nur nicht in Olav Schreiners Gesicht. Der steht vor den zwei Jugendlichen, auf einen Pirschstock gelehnt, die Schiebermütze tief im Gesicht. „Na, was machen wir jetzt?“, fragt er ruhig. Wenige Minuten zuvor ließen die beiden es mitten im Revier krachen: Polenböller, der Lautstärke nach zu urteilen. „Hier liegen schwangere Ricken, gerade jetzt brauchen die Ruhe“, erklärt Olav und zeigt Bilder auf seinem Handy von tragendem Rehwild. Die jungen Pyrotechniker nicken andächtig und entschuldigen sich. Wir steigen wieder aufs Fahrrad.
Auf der Pirsch nach dem abnormen Bock
Entspannt radelt Olav weiter, die Schotterpiste entlang, Münsterländerhündin Cora locker an der Leine. Links leuchtet ein Rapsfeld, rechts Weiden, die sanft in die Ferne abfallen. Heute verfolgt der hochgewachsene Schleswig-Holsteiner einen alten Abnormen. Dabei ist der Bock nur Nebensache, eigentlich geht es um Olavs liebste Jagdart: die Pirsch per Drahtesel. „Von Mitte April bis in den September bin ich fast jeden Abend auf dem Sattel und im Revier“ erzählt er.
Rund 1.300 ha bejagt er, verteilt über zwei Reviere, angeschmiegt an die Stadt Heide. Die sitzt wie ein sandiger Pickel auf der moorigen Umgebung. Olavs jagbare Flächen sind deswegen flach und durch die Stadtnähe gut erschlossen. Viele schmale Sandpfade und Schotterpisten winden sich an Wasserflächen, Wiesen und kleinen Gehölzen vorbei. Rund 50 % des Reviers sind nicht gut mit dem Auto erreichbar, mit einem Fahrrad aber wohl. Olavs Wolf-Geländewagen steht deswegen oft in der Garage. Ein Großteil der Trophäen in seinem Büro hat er sich mit Muskelkraft und CO2-neutral „erradelt“ – sicher kein Standard unter deutschen Jägern.

Deutsche lieben Autos. 48,8 Millionen Personalkraftwagen (PKW) sind in Deutschland zugelassen. Gerade Jäger können meist nicht auf ein Auto verzichten. Der öffentliche Nahverkehr lässt an den meisten Stadtgrenzen stark nach.
Dazu kommt Ausrüstung in Hülle und Fülle, die man denkt, mitschleppen zu müssen: Von der Astsäge bis zum Wasserkanister sind viele Revierfahrzeuge „überausgestattet“. Das führt zur – so behauptet der Autor – weit überwiegenden Hauptjagdmethode des deutschen Waidmanns: Rein ins Auto, Fahrt an den Hochsitz, ansitzen, zurück ins Auto und raus aus dem Revier. Eine Jagdart, in der das Auto viele Sinneseindrücke schluckt.

Wenig Ausrüstung und doch ausgestattet
Olav hat dagegen nicht viel dabei. Einen Repetierer in .223 Remington, Messer, Fernglas, Pirschstock und einen abgeschrammelten Bergjagdrucksack. „Wo eine ganze Gams reinpasst, passt auch der Bock rein“murmelt er, während er eine Schilfkante abglast. Die Sonne drückt, bisher zeigt sich noch kein einziges Stück. Die Reviere rund um Heide sind mit einem hohen Rehwildbestand gesegnet.
Egal, zurück aufs Fahrrad. Zurück auf dem Weg schwenkt Olavs Kopf hin und her, stumpf gerade aus schaut er nie. „Auf dem Fahrrad habe ich quasi 360 Grad-Blick, das kann kein Auto“. Er entdeckt das erste Stück: Eine hochtragende Ricke, die entspannt auf einer kleinen Wiese äst. Weiter gehts, inzwischen brennt die Sonne und auf Olavs Rücken bildet sich ein dunkler Schweißfleck. „Cora“ hechelt. Ein Fitnessstudio braucht der schlanke Anfang-Fünziger nicht. Durch die Fahrradpirsch radelt er jede Woche rund 60 Kilometer.

Leiser und unbemerkt durchs Revier
Heute wird es nichts mehr, das wird langsam deutlich. Olavs Reifen verdrängen eine Kreuzotter von den warmen Betonplatten, die Böcke bleiben lieber im hohen Gras liegen. Ein junger Spießer erhebt sich kurz bevor wir abbrechen. „Das ist einer für unsere Jungjäger“, winkt Olav ab. Ein Fasan göckert einsam. Olav lächelt. Seine Herzensangelengenheit ist eigentlich das Niederwild. Jeden Herbst und Winter fallen auf seinen Treibjagden dutzende Hähne, Schnepfen und Hasen. Grundlage dafür ist eine rigorose Raubwildbejagung. Als 16-Jähriger fing er an, gemeinsam mit dem Heider Stadtjäger Marder mit Eiabzugseisen zu verfolgen. Jeden Morgen vor der Schule mussten die Fallen kontrolliert werden – natürlich mit dem Fahrrad, so ohne Führerschein. Seitdem hat er sein Hauptjagdvehikel nicht wirklich hinterfragt. „Bei der Raubwildpirsch gibt es einfach keine bessere Kombination aus Mobilität, geringer Lautstärke und Reichweite.“, fasst Olav zusammen.
Vor einigen Jahren erst beobachtete er den Unterschied zwischen Auto und Fahrrad. Während der Halbzeit eines Champions-Leagues-Spiels zieht es Olav raus, schnell mit der Wärmebildkamera Jungfüchse bestätigen. Er beobachtet, wie ein Revierkollege mit dem Auto in der Nähe des Baus vorbeifährt. Der Schotter unter den Reifen knackt laut, der Fähe auf dem Feld dahinter ist das nicht geheuer: Sie packt ihre Welpen und verschwindet im Bau. „Ich kam wenige Tage später mit dem Fahrrad lautlos ran“ resümiert er.
Kommentar: Rauf aufs Fahrrad!
Vergaser tun genau das: Unsere Umwelt vergasen. Als Hauptantriebsart unserer Revierfahrzeuge sind sie noch nicht wegzudenken. Aber der Wandel kommt, ob wir ihn für sinnvoll oder nicht halten. Wir Jäger haben die Chance, schon jetzt öffentlichkeitswirksam CO2-Neutral unserem Hobby nachzugehen. Ganz ehrlich: Wie oft brauchen sie den Geländewagen wirklich? Hauptwildart ist in fast allen Revieren Rehwild, was in einen großen Rucksack passt. Niemand braucht dafür einen Kofferraum mit 650l Ladevolumen. Auch bergige Reviere sind keine Entschuldigung mehr, seit Elektrofahrräder überall zu haben sind. Klar, die kosten Geld. Aber mehr als der Geländewagen, den sich viele als Zweitwagen fürs Revier gönnen? Nein. Auch bin ich überzeugt, dass Jäger auf einem Fahrrad eine deutlich bessere Außenwirkung haben, als aufgebockt im Geländewagen. Statt einer Staubwolke begegnen wir Nicht-Jägern auf einer Augenhöhe. Der Jäger auf dem Fahrrad wirkt einfach netter als im Land-Rover Defender. Auch das Wild selbst profitiert. Fahrräder sind leiser als Autos und verursachen kaum Beunruhigung. Da man meist auf Straßen und Wegen bleibt, verursacht es meiner Meinung nach sogar weniger Beunruhigung als das Pirschen zu Fuß entlang von Wiesenkanten oder in Beständen. Der Mensch bleibt fürs Wild berechenbar. Also, wenn sie sich selber eingestehen: „Eigentlich ginge es auch mit dem Fahrrad“, wagen Sie den Schritt.