Wie im Rausch muss Lord Walsingham am 30. August 1888 um sich geschossen haben, als er auf dem Blubberhouse Moor die Flinten schwang. Innerhalb eines Tages erlegte der englische Adelige 1.070 Moorhühner. Der hervorragende Schütze presste 20 Treiben in einen Tag, um den Rekord aufzustellen. Nur ein guter Schütze kann zuverlässig die schnell heransirrenden Moorhühner in großer Zahl erlegen und das war der enge Freund des Prinzen von Wales sicherlich. Der Rekord gelang aber nur, weil das Werkzeug stimmte: Zwei Schwesterflintenpaare und vier „Loader“, also Nachlader, unterstützten den Lord bei seiner wilden Schießerei.
Absolut gleich und absolut treffsicher
Schwesterflinten sind zwei Flinten, die in all ihren Merkmalen absolut gleich sind. Die gleichen Schaftmaße, das gleiche System, die gleichen Chokes, das gleiche Gewicht, die gleiche Gewichtsverteilung, der gleiche Abzugswiderstand und so weiter. So sollte zum Beispiel das Schaftholz bei echten Schwesterflinten vom gleichen Nussbaum stammen. Denn unterschiedliche Hölzer sind unterschiedlich dicht und damit schwer. Die wenigen Gramm Gewichtsunterschied könnten beim schnellen Wechsel von Flinte 1 zu Flinte 2 den Anschlag versauen und schon segelt Flugwild ungetroffen davon. Schwesterflinten sind zusammen fast immer ein Unikat, mit edlen Hölzern und eindrucksvollen Gravuren.
Aufpreis
Viele Büchsenmacher berechnen für Schwesterflinten etwa 10 % Aufschlag. Zwei Flinten exakt gleich zu bauen, kostet nunmal mehr Zeit, als zwei baugleiche Flinten.
Schwesterflinten - daher kommen sie!
Heute verbindet man Schwesterflinten mit englischen Gentlemen, von Kopf bis Fuß in Tweed, die solche Kunstwerke auf Niederwildtreiben aus beigen Lederkoffern ziehen und damit abstrus hoch abstreichende Fasanen aus der Luft pflücken. Tatsächlich entstanden Schwesterflinten in Großbritannien. Wann genau die ersten Paare gebaut wurden, ist schwer herauszufinden. Fakt ist, es existierten schon zu Vorderladerzeiten Schwesterflinten im Königreich. Wann genau das erste Paar gebaut wurde, ist aber vergessen. Wirklich populär wurden Flintenpaare im 19. Jhr. Denn bis zum Ende des 18. Jhr. galt die Jagd auf zugetriebenes Federwild unter vielen britischen Jägern als nicht sportlich. Noch 1789 beschrieb ein Engländer, eingeladen auf Flintenjagd in Italien, die Jagd in Schützenkette als ein „in jeder Beziehung mörderisches Verfahren“. „Rough Shooting“, die Stöberjagd mit Hund war die bevorzugte Art des englischen Flintenjägers. Und dafür reichte eine Flinte.
Neues Pulver, neue Möglichkeiten
1818 wurde das Perkussionshütchen entwickelt, welches schließlich in den nächsten Jahrzehnten zum Hinterlader und damit den Flinten wie wir sie heute kennen führte. Im 18 Jhr. schwappte auch der Trend, Flugwild im Flug zu bejagen, aus Frankreich nach England. Bisher hatten die Briten ihre Enten und Hühner meist auf dem Boden erlegt, sie waren „Infanteristen-Jäger.“ 1793 fand der erste „Trap-Shoot“ Englands statt, auf lebendige Tauben. Rasant wuchs das Interesse am fliegenden Wild und damit auch das Verlangen nach eleganten, schnell schwingenden Flinten. Von 1800 bis 1900 war dann ein goldenes Jahrhundert der Büchsenmacherei in Großbritannien.

Namen wie William Anson und John Deeley sollten jedem Flintenjäger ein Begriff sein (Anson-Deeley Schloss). Dazu kommen Flintenhersteller wie Holland & Holland, Boss, Beesley, Greener, Westley Richards, Webley Scott, Purdey & Sons etc. Die Innovationen überschlugen sich, bis 1910 der Zenit erreicht wurde. Seitdem hat sich nicht viel verändert. Noch heute sind die meisten Querflinten konstruktionstechnisch kaum anders als solche, die 1910 in England produziert wurden.
Der König als jagdliche Stilikone
Zurück zu Lord Walsingham. Der Flintenvirtuoso ist ein Symptom seiner Zeit und kein Einzelfall. Während der langen Herrschaft Königin Viktorias von 1837 bis 1901 entwickelten sich die „Big Shoots“. Große Treiben auf Moorhuhn, Partridge und Fasan, auf denen sich die High Society Englands vergnügte. Besonders der Ehmann von Königin Viktoria, Prinz Albert und deren beider Sohn, der Prinz von Wales (später König Edward VII) genossen diese „Shooting Parties“ und scharrten Gleichgesinnte um sich. Als Prinz und Thronfolger hatten die Freizeitvergnügen der beiden eine Strahlwirkung auf die gesamte Gesellschaft.
Der Gedanke hinter der Konstruktion
Bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges 1914 dominierte deswegen diese Jagdart in der gehobenen Gesellschaft als Freizeitvergnügen. Wer besonders viele Vögel strecken konnte, genoß großes Ansehen. Lord Ripon, einer der besten Schützen zwischen 1865 und 1923, rümpfte sprichwörtlich die Nase in einer Randnotiz seines Schussbuches: 15.000 bis 20.000 Schaulustige hätten eine der Jagden gestört, auf der er sein Können bewies. Relativ schnell merkten die besten Schützen, dass getriebenes Flugwild oft zwei Chancen für Abschüsse liefert: Einmal beim Anflug und einmal beim Abstreichen. Mit zwei Flinten und einem Nachlader konnte die Strecke deutlich erhöht werden. Von dort bis zu den identischen Schwesterflinten war es dann nur noch ein kleiner Gedankensprung. Und auch den Ausführungen und Preisen setzten nur die eigene Gedankenkraft die Grenze.
Englische Eigenarten erklärt
In den Jahren der Shooting Parties entwickelten sich die klassischen Merkmale der Schwesterflinten. Büchsenmacher begannen, die Flinten mit einer Nummer 1 und Nummer 2 zu versehen. Meist in Gold, eingelegt auf dem Lauf und Systemkasten. Auch die kleinen silbernen Wappenschilde auf der Rückseite des Hinterschaftes stammen aus dieser Zeit. Standen am Morgen des zweiten Treibens dutzende gleich aussehende Flinten in der Waffenkammer, machte das kleine Schild die Suche nach den eigenen Flinten einfacher. Manche Schützen mit viel Geld in der Tasche ließen sich gleich drei Schwesterflinten bauen, so hatte man eine Reserveflinte in der Hinterhand, falls Nr. 1 oder 2 einen Komplettausfall erleiden würden. Bei drei spricht der englische Büchsenmacher von einer „Garnitur“ von Flinten. Im untenstehenden Interview erfahren Sie, worauf man beim Kauf eines Paares achten müssen.

Ohne Ladeschützen keine Chance
Zwei Flinten bieten theoretisch vier Möglichkeiten, ein Stück zu erlegen. Ein wirklicher Vorteil ist das aber nicht, wenn der Schütze selbst nachladen muss. In diesen wertvollen Sekunden streichen dutzende Fasane, Moor- oder Rebhühner ab. Deswegen entfalten Schwesternflinten ihr volles Pontenzial erst mit dem „Loader“, frei übersetzt dem Nachlader. Der steht neben dem Schützen, zwei Schrotpatronen zwischen den Fingern und mit der fertig geladenen Flinte. Ist Flinte Nr.1 leergeschossen, reicht der Loader Nr.2 an und lädt Flinte Nr.1 nach. Bei erfahrenen Schützen und Nachladern ist es ein fließendes Hin und Her. Lord Ripon (Brit. Vizekönig von Indien) schaute nicht mal in die Richtung seines Nachladers. Immer mit den Augen im Himmel, reichte er seine leere Flinte nach rechts und wartete mit offener Hand auf die Nr.2. So ein Niveau braucht aber Training. Ein gutes Lehrwerk ist der BASC Guide to Shooting von Michael Yardley. Eine – unausgesprochene – Regel: Nachlader tragen immer Krawatte. Very British!